Francis Scott Fitzgeralds “Der große Gatsby“ wird wiederentdeckt - und feiert heute als Theaterstück Uraufführung im Schauspielhaus.

Hamburg. Denkt man an Gatsby, ist da sofort wieder dieses Bild. Von jener rauschenden Gartenparty auf Long Island, bei der sich halb New York amüsiert. Und der Gastgeber seltsam unsichtbar bleibt. Der Jetset badet kollektiv in Champagner, doch der Hausherr verharrt in beklemmender Einsamkeit. Gatsby gilt bis heute als Metapher für den fragwürdigen Glauben an den Sieg des Reichtums. An die Rettung der Menschheit aus dem Geist des Hedonismus und dem Rausch der Verschwendung. Mit seinem Kurzroman "Der große Gatsby" schuf Francis Scott Fitzgerald 1925 einen maßgeblichen Prototyp der "great american novel". Er beschrieb den amerikanischen Traum und entmystifizierte ihn.

In Zeiten weltweiter Finanzkrisen, Bankengier und globaler Ungleichgewichte stellt sich die Frage nach der Aktualität des Stoffes nicht. Zunächst einmal auch nicht die nach seiner Bühnentauglichkeit. Rebekka Kricheldorf, Kleist-Förderpreisträgerin und Fitzgerald-Verehrerin, hat einen eigenen, modernen "Gatsby"-Text erstellt, den Regisseur Markus Heinzelmann heute mit Samuel Weiss in der Hauptrolle im Schauspielhaus zur Uraufführung bringt. "Dieses Streben nach dem Maximum ist bei uns auf andere Weise aktuell", erklärt Heinzelmann. "Gatsby ist das größte Opfer, obwohl er den amerikanischen Traum am perfektesten lebt. Gleichzeitig ist er ein Romantiker, der an die absolute Liebe glaubt. Er definiert sich durchs Extrem."

Vielleicht liegt darin bis heute das Geheimnis seiner Faszination. Jay Gatsby ist zwar ein hedonistischer Neureicher, aber im Herzen ein Romantiker, ein mittelalterlicher Ritter. Von außen betrachtet wirkt er seltsam naiv. Als mittelloser Soldat verliebt er sich unsterblich in die steinreiche Daisy, verliert sie aus den Augen. Nach dem Ersten Weltkrieg ist er dank zwielichtiger Geschäfte reicher als sie und versucht an den alten Liebestraum anzuknüpfen. Dass Daisy zwischenzeitlich in ihrem Ehemann, dem Millionär und Ex-Sportler Tom Buchanan, eine zynische, selbstgerechte Entsprechung gefunden hat, passt nicht in sein Weltbild. Weil Tom Daisy aber mit Betrug demütigt, lässt sie sich von Gatsby umwerben. Und so nimmt in der Glut des Sommers zwischen all den rauschenden Festen im Garten des weißen Herrenhauses und den Glitzerkostümen der Roaring Twenties das Drama seinen Lauf.

Kricheldorfs Fassung betont das Komische, lässt Egoisten aufeinanderprallen, die sich in exzentrischen Diskursen ergehen, um der Langeweile zu entfliehen. "Es geht dabei um die Frage, ob sich über den Weg des Humors nicht manche uns doch ferne Situationen verdeutlichen lassen", so Heinzelmann. Ein Pop-Märchen verspricht der Regisseur. Für den ehemaligen künstlerischen Leiter des Theaterhauses Jena, der bislang vor allem mit hübschen Produktionen auf Nebenspielstätten, wie Bukowskis "Wenn ihr euch totschlagt, ist es ein Versehen" von sich reden machte, ist die Inszenierung ein recht großer Schuh. Mit prägnanten Bildern will er Assoziationen zur heutigen Verführung durch die Oberfläche wecken.

Gatsby verwechselt die Sehnsucht nach Liebe mit der nach Reichtum. "Ihre Stimme klingt nach Geld", schmachtet er. In der einsetzenden Katastrophe, bei der Toms Geliebte ums Leben kommt, zeigt sich Toms und Daisys Egoismus. Schöne Menschen tun hässliche Dinge. Scheinbar sorgenfrei tanzen sie am menschlichen Abgrund. Einzig Gatsbys Nachbar und Freund Nick Carraway, aus dessen Sicht das Geschehen erzählt wird, gelingt es, Traum und Wirklichkeit auseinanderzuhalten und zu innerer Freiheit zu finden.

Fitzgerald zeichnet das Sittengemälde einer "Lost Generation" nach dem Ersten Weltkrieg, wie Gertrude Stein sie nannte. Unpolitisch, kraftlos und ohne Heldentum. Obwohl Gatsby den reichen Lebensstil der Gin-Jazz-Ära perfekt kopiert, bleibt er ein Außenseiter und stirbt am Ende für einen rückwärts gewandten Lebenstraum. Seine Unerschütterlichkeit ist es, die ihn zu einer tragischen Figur erhebt.

Das Großartige, aber auch Schwierige an dem Stoff ist sein unerschöpflicher Reichtum. Er bietet zahllose Chancen der künstlerischen Auseinandersetzung. Derzeit versucht sich Filmregisseur Baz Luhrmann an einer Neuverfilmung mit Leonardo DiCaprio, Carey Mulligan und Toby McGuire. Luhrmann ("Moulin Rouge") ist nicht gerade berüchtigt für zurückhaltenden Umgang mit filmischen Mitteln. Schon dem Vorgänger von Jack Clayton aus dem Jahre 1974 wurde künstlerisches Scheitern vorgeworfen. Er berausche sich nur an der schimmernden Oberfläche, schmähte die Kritik. Dennoch ist der Streifen heute längst ein Klassiker.

Und niemand würde bezweifeln, dass Robert Redford darin einen formvollendeten Jay Gatsby abgibt. Mit allen Zuschreibungen eines Gentlemans der Ostküste ausgestattet, vollkommenem Scheitel, perfekt sitzendem pastellfarbenen Anzug und schickem Automobil, Symbol der Pioniergesellschaft - aber über Jahre mühsam heruntergekochter Emotionalität. Redford fand einen Ausdruck für jene wundervollen Zwischentöne der Melancholie in der Verklärung des romantischen Ideals, die bei Fitzgerald angelegt ist. Die Verfilmung gilt bis heute als maßgebliche der insgesamt vier Filmversionen.

Das Buch ist aktuell in vier Übersetzungen erhältlich, darunter zwei neuen. Die überzeugendere stammt von Reinhard Kaiser und ist bei Insel erschienen. Sie trifft den Ton Fitzgeralds sehr genau und lässt den raffiniert angelegten Subtext dezent durchschimmern. Eine weniger präzise ist Lutz-W. Wolff bei dtv gelungen. Auch Kricheldorfs Fassung dürfte eingefleischten Fitzgerald-Puristen aufstoßen. "Wenn es gelingt, einen heutigen Text zu formulieren, ist das eine Form von Theatersprache, die interessant und wichtig ist", so Heinzelmann. Das sei notwendig, um sein Anliegen von der Ökonomisierung der Liebe zu vermitteln.

"Der Abend transportiert ein Zeitgefühl." Und das lässt sich vielleicht so einfangen wie jene Gartenparty bei Rebekka Kricheldorf. "Wer sind meine Gäste? Plünderer, Diebe und Mörder. Enkel von Plünderern, Dieben und Mördern", sagt Gatsby. Auf die Frage Nicks, warum er sie dennoch einlade, antwortet er: "Weil es mir vollkommen egal ist. (...) Reichtum ist wesentlich lustiger als Armut. Die Leute sehen schicker aus und riechen besser." Zu einer - mitunter fragwürdigen - reichen Clique dazugehören zu wollen ist bis heute reizvoll. Ein Irrweg, dem sogar Bundespräsidenten gelegentlich erliegen.

"Der große Gatsby" Premiere Fr 13.1., 20.00, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de

Weitere Fotos zum Thema: abendblatt.de/gatsby