Mara Cassens ist Hamburgs wichtigste Literatur-Mäzenin. Die 67-Jährige unterstützt jetzt bereits seit 25 Jahren den nach ihr benannten Preis.

Hamburg. Die Entscheidung, Mara Cassens angesichts dieses Schietwetters in ihrer Stadtwohnung zu treffen und nicht etwa auf dem Obsthof in der Nähe von Stade, ist richtig. Denkt man sich, bis man seine Treter auf den sehr hellen Fußboden von Frau Cassens stellt. Jetzt bloß nichts schmutzig machen. Erst mal entschuldigen für den ganzen Aufzug: nasse Jacke, beschlagene Brillengläser.

Frau Cassens sagt einfach: "Aber das macht doch nichts."

Ihr Mischlingshund ist da nicht so tolerant, er bellt. Er hat natürlich nur Angst. Sagt Frau Cassens. Frau Cassens, 67, ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert die Namensgeberin des wichtigsten Hamburger Literatur-Preises. Der Mara-Cassens-Preis wird heute Abend im Literaturhaus an den Münchner Schriftsteller Max Scharnigg übergeben. Sein Buch liegt auf dem Wohnzimmertisch in Frau Cassens Wohnung an der Alster, sie sagt: "Max Scharniggs Roman ist herrlich schräg, ich mag ihn."

+++Für Romandebüt: Max Scharnigg erhält Mara-Cassens-Preis+++

Das ist natürlich nicht schlecht, wenn die Stifterin mit der Auswahl der Jury zufrieden ist. In diesem Jahr erhält der Sieger 15 000 Euro; der warme Geldsegen trifft auf jeden Fall den Richtigen, ob er nun Max Scharnigg heißt oder nicht. Es gewinnt immer ein Debütant, weil nur Debütromane in der Verlosung sind. 80 Bewerber waren es, sie liegen nicht nur auf den Nachttischen der vom Literaturhaus bestellten Jury (leidenschaftliche Leser alle, im Literaturbetrieb beschäftigt: keiner). Nein, sie liegen auch in einer großen Truhe in Buchholz-Holm. Dort lebt Mara Cassens mit ihrem Ehemann Holger Cassens, dort befindet sich auch ihr Gestüt: Die ältere Dame, eine ganz reizende Frau, führt ein tätiges Leben.

Eines, das sie in den vergangenen Jahrzehnten in Hamburgs Kulturszene geführt hat. Sie, die einst als PanAm-Stewardess nach Hamburg kam, die in Gummistiefeln über ihren Apfelhof hinter dem Alten Land stapfte und biologische Anbaumethoden anwandte. Cassens gründete zusammen mit anderen Bauern einen ökologischen "Obst-Versuchsring". Kann man eigentlich sagen, dass auch im Feld der Literatur schöne Früchte gepflückt werden?

Ja, wenn man sich an die Bedeutung des lateinischen Wortes "cultura" erinnert. Das soll ja "pflegen, verehren, den Acker bestellen" heißen, und insofern waren die fruchtbaren Bemühungen der naturverbundenen Mara Cassens auch in der Literaturszene erfolgreich. "Man kann", sagt Cassens, "mit relativ wenig Mitteln vieles bewirken."

An den Wänden hängt moderne Kunst, auf dem Balkon steht die Skulptur eines Wache stehenden Chinesen, vor dem ein künstlicher Mops lieg. Frau Cassens mag Tiere. Und sie hat ein Herz für Kunst und Kultur. Sie sagt, sie sei schüchtern, und das ist sie auch tatsächlich. Wenn sie in ihrem Dazugehören zur Welt der Künstler und Kulturarbeiter auch eine Art von Selbstgenuss findet, dann weiß sie ihn gut zu verstecken. Aber wahrscheinlich empfindet sie das alles als zweitrangig: die Theaterbesuche, die Lesungen. Sie will helfen: "Es ist schwierig und langwierig, ein Buch zu schreiben, da bleibt keine Zeit, um nebenbei Geld zu verdienen."

+++Der Preisträger+++

Der Idealismus der Frau Cassens ist die Voraussetzung für ihr segensreiches Tun. Eine Schwarmbewegung ist die Stifterei in Hamburg übrigens nicht, findet zumindest Frau Cassens. Die zarte, feine Person mit dem dezenten Nürnberger Akzent (die Franken sagen "alde Leude" und meinen Senioren, herrlich), die ausgeglichen und ausgleichend wirkt, zurückgenommen und uneitel, diese Person sagt durchaus ein wenig provokativ: "Es gibt viele wohlhabende Frauen in Hamburg, aber die meisten stiften nichts. Und wenn, muss man einen Salto schlagen, um sie dazu zu bringen." Sie lächelt.

Hamburg gilt als Hauptstadt der Stiftungen, aber nicht unbedingt als Hauptstadt der Stifter. Nicht dass es niemanden gäbe, der bürgerschaftliches Engagement einzufordern weiß: wie etwa die Hamburgische Kulturstiftung. Die sorgt dafür, dass pro Jahr an um die 50 kulturelle Projekte bis zu 800 000 Euro gehen. In Hamburg leben größere Mäzene und Förderer wie Klaus-Michael Kühne, Jan Philipp Reemtsma oder das Ehepaar Greve, ohne privates Interesse wäre das Kulturleben hier um manches ärmer. Das kinderlose Ehepaar Cassens ist auch anderweitig engagiert. Bei den Lessing-Tagen am Thalia etwa; oder bei sozialen Projekten. Kultur ist das, sagt Mara Cassens, "was unsere Gesellschaft zusammenhält". Das ist ein sympathischer Satz, und während Franzi, die Mischlingshündin (sie stammt aus dem Tierheim) um den grün gekachelten Kamin tapert, denkt man sich: In der Tat schön, wenn jeder etwas eigenes macht.

Wenn man den Ehrgeiz hat, nach der Heirat mit einem Hamburger Kaufmann, den man Ende der 60er-Jahre beim Skifahren im Bayerischen Wald kennengelernt hat, den Tag nicht mit süßem Nichtstun oder als Arbeitskraft in dessen Firma zu verbringen. So wie Mara Cassens, die Äpfel verkauft und junge Schriftsteller sponsert. Traditionell geht sie am Tag der Preisverleihung mit dem Künstler essen. Sie macht Eindruck dann, die Dame aus Hamburg. Der Leipziger Clemens Meyer war 2006 Preisträger. Im Restaurant waren ihm seine großflächigen Tätowierungen so peinlich, dass er seine Arme immer unter dem Tisch versteckte. Was seine Gönnerin zum Lachen brachte.

Mara Cassens sagt: "Clemens Meyer ist ein guter Typ, und eigentlich ist er auch cool, sozusagen."

Sie redet manchmal derart, dass man ein wenig schmunzeln muss. Sie redet auch viel vom Theater in Hamburg, das sie nicht immer so toll findet, gerade wenn es platt ist, weil es ihm nur darum geht, Grenzen zu überschreiten. Aber wer wäre sie zum Beispiel, dass sie Thalia-Intendant Joachim Lux für seine Spielplan-Abstimmungen kritisierte? Ihr Mann lacht manchmal, wenn sie Roman um Roman verschlingt; man müsse doch nur das Wesentliche lesen, findet er. "Ich lese sehr gerne das Unwesentliche", sagt Mara Cassens.

Clemens Meyer, der tätowierte Autor, schickt ihr immer noch jedes neue Buch, das er geschrieben hat.