Die Deichtorhallen zeigen eine Werkschau des ukrainischen Fotografen Sergey Bratkov und Nobuyoshi Arakis stilles Frühwerk.

Hamburg. Sie haben nichts miteinander zu tun, die seltsam heimtückischen Fotos des Künstlers Sergey Bratkov aus der Postsowjetunion und die elegischen, intimen und überwiegend 40 Jahre alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Japaners Nobuyoshi Araki von seiner Frau Yoko. Jedes Hirn, das da Bezüge herstellten wollte, denkt sich einen Wolf. Die Kuratoren in den Deichtorhallen hatten ursprünglich eine andere, sinnfälligere Ausstellungsidee verfolgt, aber die ließ sich nicht verwirklichen. Und das Haus ist ja riesig genug, dass sich auch disparateste Werke dort nicht in die Quere kommen.

Folgt man der Architektur der Halle, gerät man zuerst zu den "Silent Wishes" von Nobuyoshi Araki aus Tokio. Araki, 70, ist ein gewitzter Selbstvermarkter, der sich gegenüber der europäischen Öffentlichkeit gern als Karaoke singender und Sake saufender Womanizer in Tokioter Bars inszeniert, bei dem die Mädchen Schlange stehen, um von ihm fotografiert zu werden - vorzugsweise in kunstvoller Fesselung. Mit solchen Fotos ist er hier berühmt geworden. Das Auge des Westbetrachters funkt dabei unweigerlich die Sexualpraktik des Bondage ans Großhirn. Araki aber bezieht sich auf die aus dem japanischen Militär stammende Technik des Kinbaku, die wie vieles, was der Japaner so macht, extrem ritualisierten Regeln gehorcht.

Die Deichtorhallen-Kuratorin Sabine Schnakenberg gerät ins Schwärmen über die Akkuratesse, mit der die Hanfseile von speziell ausgebildeten Fesslern um die Frauen gewunden werden, ohne an Haut oder Gewändern eine einzige unschöne Falte zu werfen. Aber von diesen vermeintlich obszönen, vermeintlich unschuldigen Hinguckern hat sie nur kleine Polaroids in die Ausstellung aufgenommen. Sie möchte viel lieber ein anderes Bild Arakis zeigen: das des subtilen und sensiblen Fotokünstlers. Als der hat der Schuhmachersohn und Werbefotograf Nobuyoshi Araki 1971 begonnen, als er seine frisch geheiratete Frau Yoko subjektiv und obsessiv in allen Lebenslagen zu fotografieren begann. Yoko war sein Modell, seine Muse, seine große Liebe.

Die Deichtorhallen zeigen rund 150 von der Fotogalerie der Moderne in Salzburg ausgeliehene Bilder dieser jungen, unnahbar und unberechenbar wirkenden Frau mit den vielen Gesichtern, die einem Roman von Haruki Murakami entsprungen scheint. Bewegend ist die Flüchtigkeit des symbiotisch scheinenden Glücks zwischen Fotograf und Modell, zwischen Mann und Frau. Denn Yoko stirbt 1990. In einer auf zwölf starke Bilder beschränkten Serie zeigt Araki sein Abschiednehmen - eine poetische, japanisch reduzierte Studie, wo der Sterbenden alles Weiß gehört und ihm, der zurückbleibt, nichts als die Schwärze seines Anzugs.

Die "Heldenzeiten" genannte Ausstellung des Charkover Künstlers Sergey Bratkov verführt den Besucher dann in eine erregende Zwischenwelt aus Reportage und absurder Komik, aus unscharfen Familienaufnahmen und mal sarkastischen, mal von großer Menschenliebe geprägten Kommentaren zur Gegenwart der zerfallenen Sowjetunion. Die vier kaum bekleideten Frauen, die sich in der Serie "Secretaries" in aufreizender Pose präsentieren, waren dem Stellenangebot eines kaukasischen Geschäftsmanns in Charkov gefolgt, der die zukünftige Bürokraft ausschließlich nach ihren körperlichen Eigenschaften einzustellen beabsichtigte. Bratkov, als brotloser Künstler auf Aufträge angewiesen, fotografierte die Bewerberinnen. Dabei gelang es ihm, die entwürdigende Situation so abzulichten, dass nebenbei auch die charakterlichen Blößen des Auftraggebers sichtbar werden.

Immer wieder bringt Bratkov das scheinbar Inkommensurable zusammen - ausgestopfte Vögel und kleine Jungen in einem Waisenhaus, trostlose Lolitas, aufgebrezelt von den eigenen Eltern, um ihre Chancen beim Kindermodel-Wettbewerb zu erhöhen. Boxer zeigt er zerschunden nach dem Kampf, Stahlarbeiter, Helden der Arbeit, kurz vor der Stilllegung ihres Werks. Und alte Matrosen im Seefahrerheim, kurz nach dem Untergang des Atom-U-Boots "Kursk". In einer Fotoserie zur Farce politischer Wahlen beweist Bratkov derben Humor: Die Stimmzettel steckt einer dem anderen in den Hintern.