Alle vier Jahre wieder: Das Leben ist auch für einen WM-Wahn-Verweigerer lebenswert

Gott ja, Fußball-WM. Beim ersten Mal, da tut's noch nicht weh, da schau ich meinetwegen auch mal hin. Schlimmer als die Ödnis bei Dressurreiten, Mario Barth oder gar Formel 1 kann's schließlich nicht sein. Was soll man auch sonst machen. Es gibt keinen "Tatort", bei dem ich wie immer am Täterraten scheitern könnte, nur unansehnlichen Programmplunder und aufgewärmten Wallander. Nicht mal Curling gibt es. Sehenswerte Serien-DVDs sind gerade nicht im Haus, "Lost" ist zu Ende, und den frischen Harry-Bosch-Krimi hab ich in der Redaktion vergessen. Geschieht mir also ganz recht.

Einige aus der deutschen Mannschaft kommen mir bekannt vor - Sommermärchen 2006, Klinsi, Schweini, Poldi, Jogi. So wenig weiß selbst ich noch. Bei "unserem" Torwart steht als Gebrauchsanweisung hinten drauf, was er in meinen Augen ist: "Neuer". Am interessantesten finde ich während der ersten Minuten, dass die Turnschuhe neuerdings mit Textmarker-Farben bemalt sind. Garantiert ist das Wort Turnschuh für diese Hightech-Treter eine monströse Beleidigung. Die Dinger sind sicher von der Nasa entworfen, mundgeblasen, haben Einser-Abitur und GPS und eine Espressomaschine eingebaut. Früher, als ich mich auch noch nicht für Fußball interessierte, waren sie schwarz oder weiß und am Ende kaputt. Auf jeden Fall aber nicht nervensägengelb oder kolikorange.

Überhaupt, die Optik. Manche aus dem Team Löw sehen aus, als hätten sie vor Kurzem noch den Konfirmandenunterricht geschwänzt. Die Australier - coole blaue Trikots, ein bisschen à la "Star Trek"-Uniform - machen körpersprachlich einen eher einsilbigen Eindruck. Bullige Gestalten, denen man sofort fundierte Splitterbruch-Kompetenz unterstellen möchte. Sind aber bestimmt total nette Kerle, die Aussies.

Die erste Halbzeit zieht sich trotz mehrerer Tore. Elfmeterschießen - mein Liebstes, weil schnell vorbei - gab's leider nicht. Am Ende hat Deutschland gewonnen, mit 4:0. Doch das hab ich erst in den Spätnachrichten gesehen, denn ich war in der zweiten Halbzeit lieber im Internet unterwegs. Man muss ja auch mal Prioritäten setzen. Muss ich jetzt etwa ständig Fußball sehen, bloß weil 28 Millionen andere Deutsche das auch gesehen haben? Muss ich das toll finden und auf einmal, als wäre ich Löws Taktiktafel-Bemaler, über 4-2-3-1-Formationen und Laufachsen fachfaseln? Eben. Muss ich nicht. Minderheit hat auch was.

Ach ja: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Vorhin jubelten Kollegen über irgendetwas, das mit Holländern zu tun hatte, und versauten mir damit komplett die Konzentration. Wenn dieser Text also nichts taugt - mich trifft keine Schuld, ich war abgelenkt. Prima Ausrede für die nächsten Wochen im Job, oder?

Können Sie gern haben, schenk ich Ihnen. Wie die gesamte WM.