Das Ernst-Barlach-Haus zeigt die Picasso-Sammlung des Ehepaars Hegewisch unter dem Titel “Der Stier und das Mädchen“.

Hamburg. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat das Hamburger Ehepaar Klaus und Erika Hegewisch neben den Werken von Künstlern wie Goya, Munch, Delacroix und Beckmann auch Grafik von Pablo Picasso gesammelt. Zu jedem Blatt können die Hegewischs eine Geschichte erzählen, von spannenden Erwerbungsumständen etwa oder dem Transport einer kostbaren Grafik im Handgepäck eines Flugzeugs.

Aus einzelnen Gelegenheiten und glücklichen Zufällen entwickelte sich im Laufe der Zeit eine Sammlung, die so planmäßig, kundig und absichtsvoll aufgebaut ist, dass sie schließlich einen faszinierenden Einblick in das grafische Schaffen Picassos , seine vielfältigen Entwicklungen, Wandlungen und Spielarten zu bieten vermag. 1997, zur Eröffnung der Galerie der Gegenwart, gab es erstmals eine Ausstellung dieses Bestands, den die Kunsthalle seit Langem wissenschaftlich betreut. Seit dem Wochenende zeigt das Ernst-Barlach-Haus im Jenischpark die inzwischen weiter angewachsene Sammlung wieder komplett, diesmal unter dem Titel "Picasso - Der Stier und das Mädchen".

Zu sehen sind insgesamt 80 Blätter aus allen Schaffensphasen, von der kurz nach der Jahrhundertwende einsetzenden blauen Periode über den sich anschließenden Kubismus und die neoklassizistischen Werke aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis hin zu den ornamental-flächigen Kompositionen des Spätwerks. Die von Andreas Stolzenburg, dem Leiter des Kunsthallen-Kupferstichkabinetts, gemeinsam mit Barlach-Haus-Direktor Karsten Müller kuratierte Schau führt die motivische und stilistische Entwicklung des Jahrhundertkünstlers vor Augen.

Da Picasso seine Werke akribisch datiert und damit seinen Schaffensprozess dokumentiert hat, bietet die Schau zugleich ein Panorama dessen, was Picasso als "Die Wissenschaft vom Menschen" bezeichnet hat. Damit meinte er - wie Stolzenburg anmerkte - letztlich die "Wissenschaft vom Menschen Picasso". Das heißt, in den exemplarischen Blättern dieser Sammlung kommt zum Ausdruck, wie Picasso seine Lebensumstände, Beziehungen und Krisen zum Thema seiner Kunst oder auch wie er sie zum Ausgangspunkt und zur Anregung seines Schaffensprozesses machte.

Dass das besonders für sein Verhältnis zu Frauen gilt, liegt auf der Hand. So stellt er in der 1935 entstandenen Aquatintaradierung "Der blinde Minotaurus wird von einem Mädchen mit Taube durch eine Sternennacht geführt" das halb tierische, halb menschliche Fabelwesen als sein Alter Ego dar. Das Mädchen, das ihm Halt und Orientierung gibt, trägt dagegen die Züge seiner jungen Geliebten Marie-Thérèse Walther, für die er später seine bisherige Ehefrau Olga Stepanowna Chochlowa verlassen wird. Das Blatt dokumentiert eine Lebenskrise, für deren Darstellung Picasso sich der antiken Mythologie bedient, die er aber in eine ganz eigene Mythologie umformt. Dabei spielen der Minotaurus, der Stier, aber immer auch Frauenfiguren eine Rolle, die stets in Beziehung zur jeweiligen Lebenssituation des Künstlers stehen. Die Abwendung von der einen und die Hinwendung zur anderen Frau kommt ganz direkt in der 1947 entstandenen Lithografie "Ruhende junge Frauenakte" zum Ausdruck. Die Schlafende ist Marie-Thérèse Walther, die Sitzende mit prüfendem Blick Françoise Gilot, die neue Geliebte, die übrigens die Einzige war, die später von sich aus die Beziehung zu dem Künstler beendete.

Die Ausstellung zeigt aber auch, wie unorthodox und eigenwillig Picasso mit druckgrafischen Medien experimentierte und wie er in der Grafik Motive und Ideen entwickelte, die später in der Malerei wiederkehren sollten. Ein interessantes Beispiel dafür ist der zweiteilige comicartige Zyklus "Traum und Lüge Francos" aus dem Jahr 1937, in dem bereits die schreienden, überdehnten und verrenkten Körper und Gestalten erscheinen, die später mit dem anklagenden Gemälde "Guernica" weltberühmt wurden.

Zu den Höhepunkten der Ausstellung gehören die 26 Aquatintaradierungen des Tauromaquia-Zyklus von 1957. Wie vor ihm bereits Francisco de Goya hat auch Picasso hier eine großartige Folge zum Stierkampf geschaffen. Es ist eine Illustration des Buches "La Tauromaquia - o el arte de torear" (Die Kunst des Stierkampfs), das der legendäre Torero Pepe Illo 1796 veröffentlichte. Doch Picasso geht frei mit der Vorlage um und schildert den Stierkampf als dramatisches Duell zwischen dem massigen und bedrohlich erscheinenden Tier und dem fragilen, tänzerischen Torero. Mit seinen scheinbar flüchtig hingeworfenen, in Wahrheit aber genau kalkulierten Kompositionen und ihren Helldunkelkontrasten verleiht er dem ohnehin schon dramatischen Geschehen noch zusätzliche Spannung. Drei Blätter des insgesamt elf Zustände umfassenden Zyklus "Der Stier" zeigen schließlich, wie Picasso dieses für ihn so wichtige Motiv von der naturalistischen Darstellung schrittweise in eine Abstraktion überführt, die in ihrer Zeichenhaftigkeit schon an prähistorische Höhlenmalereien erinnert.

Picasso: Ernst-Barlach-Haus, Baron-Voght-Str. 50a, bis 3. Oktober, Di-So 11-18 Uhr