Die Mezzosopranistin Cecilia Bartoli singt heute Abend barocke Kastratenarien in der Laeiszhalle

Laeiszhalle. Eine Frau singt virtuose Arien, die im frühen 18. Jahrhundert für Männer geschrieben wurden, deren Stimmen fast wie die von Frauen klangen und die, je nach Bedarf, sowohl Helden als auch Heldinnen auf der barocken Opernbühne verkörperten.

Ganz schön verwirrend? Das ist - wie bei jedem ihrer spektakulären Projekte der letzten Jahre - genau die Absicht, mit der die Mezzosopranistin Cecilia Bartoli ungemein gekonnt spielt: der Reiz des Unbekannten, die Faszination des Klangs, und dazu die Entdeckerfreude, in Archiven nach lohnenden Raritäten zu stöbern.

Vivaldis lang verkanntes Opernschaffen hat die Römerin so in das verdiente große Rampenlicht gestellt, den schlecht beleumundeten Mozart-Gegenspieler Salieri hat sie mit einem weiteren Album quasi im Alleingang rehabilitiert. Um ihr Idol Maria Malibran zu lobpreisen, belud sie einen Truck mit Diva-Devotionalien, die zum damaligen Tournee-Programm passten.

Jetzt sind die Kastraten dran. Bartolis letztes Album, "Sacrificium", war nicht das erste, aber garantiert das meistbeachtete Plädoyer für die Musik und gegen jene Praxis, die mit dem buchstäblich brutalen Publikums-Ausruf "Evviva il coltellino!" - Es lebe das Messerchen! - verbunden war, sobald diese Hochtöner zu scheinbar endlosen Notengirlanden ausholten.

Im Barock wurden Tausende junger Knaben im Namen der Gesangskunst entmannt, damit ihre Stimmen die kindliche Höhe behielten, während die Brustkörbe beachtliche Ausmaße annahmen. Für diese Stimmen haben nicht nur auch heute noch bekannte Stars wie Händel geschrieben, sondern auch viele, die als Kleinmeister ignoriert wurden. Bis jemand wie La Bartoli kommt und beweist, was einem alles Tolles entgangen ist.

Auf die (zugegebenermaßen komplett hypothetische) Frage, ob sie bereit gewesen wäre, ein dermaßen einschneidendes Erlebnis für die Kunst auf sich zu nehmen wie damals die Chorknaben, kontert Bartoli mit einer sehr moralischen Antwort: "Eindeutig nein! Aber die Knaben, denen man das mit sieben Jahren antat, hatten ja keine Wahl. Es ging überhaupt nicht darum, Künstler zu werden oder nicht. Das waren Verbrechen, die den Körpern von Kindern angetan wurden, die hatten mit Musik nichts zu tun. Andererseits stellt sich die Frage: Hätten die Komponisten jener Zeit so viel von dieser großartigen Musik geschrieben, wenn sie nicht von Kastraten inspiriert worden wären?" Tja, das sind so Fragen.

Die Qual dieser Auswahl hat die Sängerin jedenfalls genossen; es gab Material genug für mehrere Alben. "Ich musste jene Stücke auswählen, die zu meiner Stimme passen. Das war schon eine Herausforderung - die Musik finden, sie lernen, die Forschungsarbeiten. Das alles braucht seine Zeit."

Zu ihrer "Sacrificium"-Show auf der Laeiszhallen-Bühne dürfte auch ein Auftritt in einem Männerkostüm gehören. "Das soll die darstellerische Vielfalt der Sänger zeigen, die alle möglichen Charaktere verkörpern konnten - pathetische, melancholische, dramatische. Sie mussten Männer und Frauen darstellen, das war ein Teil der barocken Welt." Und so weit von diesen Zwitter-Erscheinungen seien ja auch einige Popstars von heute nicht entfernt.

Die Wertung eines Rezensenten, ihr Temperament sei größer als ihre Stimme, will Bartoli nicht als Fluch verstehen, sondern als "großes Kompliment". "Es gibt ja auch keine lauten Stradivaris - er hat immer nur Qualitätsinstrumente gebaut."

Diese Stimme (und was Bartoli damit anstellt) wird nicht nur von ihren Fans bewundert, auch die männliche "Konkurrenz" wird automatisch hellhörig, sobald sich Bartoli mit einem Konzept auf dem Klassik-Markt meldet. Der französische Countertenor Philippe Jaroussky beispielsweise sieht darin fast schon eine Art Wettrennen in Richtung Raritäten-Schatztruhe. Bartoli ist da ganz entspannt: "Es gibt genug Platz für alle, das Repertoire ist riesig." Das nächste Projekt ist immer das spannendste, diese Regel gilt auch für die bestens gebuchte Römerin. Ende Juni singt sie im Dortmunder Konzerthaus eine konzertante "Norma". Callas-Vergleiche, die jedem Opernfan bei dieser Rolle einfallen, erübrigen sich aber, denn mit dem zukünftigen NDR-Chefdirigenten Thomas Hengelbrock und dessen stilsicherem Balthasar-Neumann-Ensemble will sie die "Norma" von Bellini, nicht die der Callas präsentieren. Auch kein Widerspruch: "Mir geht es immer darum, dass die Musik, die ich singe, zu meiner Seele spricht."

Konzert: heute, 19.30 Uhr, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz. "Sacrificium - La Scuola dei Castrati". Arien von Porpora, Caldara, Graun, Leo u. a., Cecilia Bartoli (Mezzosopran), Orchestra La Scintilla. Karten in allen Hamburger-Abendblatt-Ticketshops und an der Abendkasse