Michael Gielen und das NDR-Sinfonieorchester mit Werken von Mahler und Bruckner in der Laeiszhalle

Hamburg. Wenn ein Dirigent sagt, dass man für Kunst ruhig das Gehirn bemühen darf, gibt einem das zu denken. So selbstverständlich sehen das ja nicht alle. Doch mit genau diesem didaktisch-strengen Ansatz, einer klaren Absage ans Amüsierenwollen und -sollen, ging Michael Gielen an sein Programm für das gestrige Abo-Konzert des NDR-Orchesters in der Laeiszhalle, das bereits auf dem Papier gut klang.

Es begann mit Mahlers idyllisch verklärendem "Blumine"-Satz, der es nicht in dessen Erste geschafft hatte, dazu einige "Wunderhorn"-Lieder, in denen die große und manchmal tödlich böse Welt von den singenden Knaben, die sich damit zu Wort melden, zumeist viel zu blauäugig betrachtet wird. Als abschließende Rarität die späte Wiener Fassung der Ersten von Bruckner. Ein Werk des forschen Aufbruchs, der zwar noch kein Endziel hat und um Form und Format ringt, aber den manisch suchenden Vorwärtsdrang des Eigenbrötlerischen schwungvoll und lautstark zelebriert.

Für Gielen, der auch bei Musik aus dem späten 19. Jahrhundert immer schon den kommenden Zusammenbruch der Tonalität mitdenkt, ist nichts davon simpler Spaß oder gar unschuldig. Die volkstümelnde Anmut nicht, mit der die Solotrompete das Liedthema auf Händen durchs Serenaden-Dämmerlicht trägt, und erst recht nicht die Arnim/Brentano-Vertonungen. Um alles weht schon der Hauch des drohenden Verfalls, der Zweifel, das deprimierende Wissen ums Endliche alles Seins.

Hier hätte der exzellent disponierte Bariton Hanno Müller-Brachmann durchaus weniger freundlich, handzahm und zurückhaltend sein dürfen. Die himmlische Jenseitigkeit im "Urlicht" leuchtete eher auf Sparflamme, klang mehr nach Poesiealbum und weniger nach letztem Willen. Allzu harmlos, brav und katastrophenarm blieb Müller-Brachmann in "Revelge" auf Distanz zu den Schrecken der Schlachtfelder, die ein tödlich verwundeter Soldat herausbrüllen soll; er hielt sich dort viel zu weit und deutlich vom Abgrund entfernt, während Gielen die Mahler-Partitur so klar und lehrreich auffächerte, als ginge es um ein sehr frühes Frühwerk von Berg oder Webern und nicht um einen sehr späten Romantiker.

Bei Bruckners Ausfallschritt ins Rampenlicht nahm sich Gielen ganz weit zurück. Er wollte nicht Bändiger sein, sondern Dokumentar. Wollte hörbar machen, wie hier ein Angsthase den inneren Schweinehund überwindet, wie ein Komponist sein Tonsprachen-Vokabular formuliert, wie er testet, was Sinn ergibt und was noch danach sucht. Die NDR-Sinfoniker ließen sich von dieser Perspektive gern überzeugen, insbesondere das Blech hatte viele prächtige Momente. Ein Kraftakt, eine Zumutung im schönsten Sinne des Wortes.

Konzert: Das Programm wird heute, 20 Uhr, in der Laeiszhalle wiederholt. Kartentel.: 0180/178 79 80