Michael Gielen dirigiert Werke von Mahler und Bruckner in den Konzerten des NDR-Sinfonieorchesters.

Hamburg. Für diese Sache mit Lorin Maazel neulich, da hätte Michael Gielen eigentlich erwartet, dass es einen großen Aufschrei gäbe. In der "Zeit" hatte er über den für ein Heidengeld nach München engagierten Kollegen gesagt, der würde wie ein Krokodil lächeln und auch so dirigieren. Recht hatte er, denn die Tür, durch die Maazels Ego passt, muss erst noch gezimmert werden. Doch es kam: nichts. Was vielleicht typisch ist für die Lethargie, in der sich die Klassik-Szene befindet. Widerspruch ist nun mal schlecht fürs Geschäft. Doch Widerspruch war schon immer das Markenzeichen dieses durch und durch politisch denkenden Künstlers, der für Show-Maestri und ihre Methoden nichts übrig hat. "Natürlich dirigiert man fürs Publikum, die Musik wird ja fürs Publikum gemacht." Doch der Gestus, auf den es ihm ankommt, der ist ein aufklärerischer. "Was gibt's hier zu hören? Eben nicht nur Angenehmes. Heiteres ist sehr selten."

Mittlerweile ist der gebürtige Dresdner mit Alterswohnsitz am österreichischen Mondsee fast 83 und hat sich seinen legendären Ruf als widerborstiger Analytiker und klarsichtiger Wahrhaftigkeits-Fanatiker hart erarbeitet. Seine Dekade an der Frankfurter Oper hat ab 1977 Musiktheater-Geschichte geschrieben, in den 13 Jahren als Chefdirigent des SWR-Sinfonieorchesters brach er etliche Lanzen für das Unbequeme, das Moderne. Das andere, das es auch geben muss, damit der Geist in Bewegung bleibt.

Wie das klingen soll, will Gielen an diesem Sonntag und Montag mit dem NDR-Sinfonieorchester unter Beweis stellen. Auf dem Programm stehen dann Mahlers "Blumine", der später gestrichene 2. Satz der 1. Symphonie, sowie einige "Wunderhorn"-Lieder, kombiniert mit Bruckners 1. Symphonie. Ein Gourmet-Programm, aber keines, in dem nach Rückschlüssen auf Biografisches über den glühenden Katholiken Bruckner und den großen Skeptiker Mahler zu gründeln wäre, meint Gielen: "Weder in den Symphonien noch in den Liedern ist die religiöse Aufstellung der beiden Herrschaften hörbar. Das ist ein Fakt. Daraus kann man keine Konsequenzen für die Wiedergabe der beiden Werke ziehen. Mahlers Symphonien sind wie moderne Musik, nur ohne die Dissonanz, und bereiten die Menschen, die das hören, auf die Moderne vor."

Vor Kurzem ist Gielen für seine kreative Hartnäckigkeit und die Plädoyers fürs Moderne mit dem Siemens-Preis ausgezeichnet worden, so etwas wie der Musik-Nobelpreis. Geehrt wurde damit auch Gielens Maxime: Musik ist, weil Kunst, nicht immer schön, macht aber immer Arbeit. Sein Verständnis für den Unterhaltungswunsch des Publikums hält sich deswegen auch in klar absehbaren Grenzen. "Sicher, die haben einen schweren Tag hinter sich und wollen nicht weiter belästigt werden. Dann haben sie aber keine Chance, einen Zugang zur Musik zu bekommen, egal, welche gespielt wird", urteilt Gielen. "Ohne eine Mitarbeit des Hörers spielt man für eine Wand, spielt man sinnlos. Der Wille des Zuhörers, etwas von den Inhalten mitzubekommen, das ist Arbeit. Nur zum Spaß, da muss man in Programme gehen, die ganz wenig von einem verlangen. Und solche Musik - ich mach sie einfach nicht." Repertoire-Pralinés zum Wegnaschen? Keine Chance. "Wer sich als Publikum nicht anstrengen und nicht beim Hören mitarbeiten will, der soll in solche Programme gehen."

Auf den Kraftakt des nur etwas jüngeren Christoph von Dohnányi angesprochen, der gerade alle Beethoven-Symphonien mit dem NDR-Orchester machte, ist Gielen rechtschaffen beeindruckt. Er selbst lässt es mittlerweile ruhiger angehen. Termine bis 2012 hat er derzeit, aber nicht mehr als sechs bis acht handverlesene Projekte im Jahr. "Ich hab auch vor dem Preis, seit ich nicht mehr Chefdirigent beim Südwestrundfunk bin, nur noch gemacht, was ich wollte. Ich dirigiere immer weniger, ich bin über 80, mein Gott!"

Und sonst so? "Der Privatmann Gielen liest viel, geht spazieren jeden Tag am Berg überm Mondsee. Das Leben eines alten Mannes." Was aber auch nicht heißt, dass der Dirigentenstab nun Staub ansetzen soll. "Nur zu Hause sitzen ist ja furchtbar fad. Man will ab und zu arbeiten, man will ab und zu die Konfrontation, die Menschen und mit Orchestern zusammen sein, mit denen man sich gut versteht. Wenn ich zu lange zu Hause sitze, werde ich depressiv."

Interessant wäre, als welcher Maestro Gielen - die Möglichkeit von Seelenwanderung vorausgesetzt - wiederkommen möchte. "Am meisten hab ich Erich Kleiber bewundert, der war phänomenal. Als Maazel möchte ich jedenfalls nicht zurückkommen."

Konzerte: 6. Juni, 11 Uhr, 7. Juni, 20 Uhr, Laeiszhalle. NDR-Sinfonieorchester, Hanno Müller-Brachmann (Bariton), Michael Gielen (Dirigent). Kartentel.: 0180 / 178 79 80.