Bei einer Tagung im Literaturhaus diskutierten Autoren und Kritiker zwei Tage lang den Zustand der Branche

Hamburg. Sibylle Lewitscharoff war es, die eingangs beim als "Hamburger Begegnung" betitelten Treffen von Autoren und Literaturkritikern im Literaturhaus eine Mahnung an alle Teilnehmer richtete. Bloß nicht depressiv werden, forderte die preisgekrönte Schriftstellerin, die mit Literaturhaus-Chef Rainer Moritz und Kritikerin Meike Feßmann die zweitägige Veranstaltung organisiert hatte.

Die Teilnehmer wollten freilich zunächst nicht hören, und so gab es statt zündender ästhetischer Debatten vor allem viel Wehklagen über den Zustand der Branche, die einen schleichenden Rückgang der Bedeutungsfülle von Literatur und Literaturkritik registriert und in der Medienkonkurrenz ein Zurückfallen befürchtet. Was nicht heißt, dass die unter anderen anwesenden Dichter Robert Menasse (der gestern Abend im Literaturhaus las), Wilhelm Genazino (wurde im Rathaus mit dem Rinke-Sprachpreis geehrt), Thomas Hettche und Ulrich Peltzer nicht doch die meiste Zeit lustvoll mit den renommiertesten Literaturkritikern des deutschen Sprachraums diskutiert hätten.

Es ging um Fragen der Form und des Stils, um literarische Trends, aber auch um Peinlichkeiten des Betriebs - wofür in dieser literarischen Saison ein Name steht, der auch bei der Hamburger Tagung wieder und wieder bemüht wurde: Helene Hegemann. Dabei hat die Riege der professionellen Leser, als die sich die Kritiker begreifen, doch eindeutig von dem Hegemann-Skandälchen profitiert. Schon lange war nicht mehr eine derart ausgiebige Selbst-Introspektion unternommen worden. Altgediente Rezensenten vermissen derzeit, wie deutlich wurde, die philologisch korrekte Sprach- und Literaturkritik - und die Lust am Verriss, an der Polemik, auch sie geschrieben im Geist Walter Benjamins, nach dem "Sachlichkeit immer dem Parteigeist geopfert werden muss". Überhaupt klang das arg nach Verlustangst, als die Kritikerkaste die Marginalisierung der Literatur und das Zusammenstampfen der Feuilletons thematisierte.

Dabei fiel man immer wieder, begleitet von kleinen geschmäcklerischen Händeln und Friktionen zwischen Deutschen und Österreichern, in innerbetriebliche Endlosschleifen zurück. Wie kann Literatur heute denn überhaupt noch die Totalität der Welt abbilden? Kann der Film das nicht viel besser? Langweilig, umso besser, dass sowohl Literaturproduzenten als auch Literaturkritiker am Ende doch eine Formel fanden, laut der die Gattung "Roman" so groß ist, dass man alles in sie stecken kann.

Kleinere, terminologische Dispute, größere grundlegende Selbstvergewisserungen (so wie im fruchtbaren öffentlichen Vortrag Thomas Steinfelds über den deutschen Stil) bildeten letztlich ein würdiges Feld, auf dem sich über die hehre Sache der schönen Literatur ausgetauscht wurde.

Schleunigst verabschieden sollten sich die Kritiker allerdings von ihren Ängsten vor dem Alleszerfaserer Internet und besser wie SZ-Feuilletonchef Steinfeld an die literarische Qualität mancher Blogs glauben. Zudem sollten sie den Platz im Netz selbst nutzen, um die Beschäftigung mit Literatur zum Leser zu bringen.

Die Zeiten, in denen eine literarische Veröffentlichung noch ein gesellschaftliches Ereignis war, sind vorbei.