Der ganze Monat eine poetische Inspiration. Nicht nur Goethe, Hoffmann von Fallersleben und die Comedian Harmonists wussten: “Im Maien, im Maien, da ist es so schön ...“

Die Welt ist ungerecht: Immer hat es einer besser als die anderen. Zum Beispiel der Mai. Den "Mozart des Kalenders" nannte ihn Erich Kästner und sah ihn "im Galarock des heiteren Verschwenders". Kunststück. Der Mai hat, astronomisch gesehen, einfach Riesenglück. Denn die Erde eiert just so um die Sonne, dass - wenn er auf dem Kalender steht - unsere Breiten spürbar mehr warme Strahlen abbekommen als in den Monaten zuvor. In Australien ist der Mai nicht der jugendliche Liebhaber, sondern ein herbstlicher Absteiger.

Bei uns aber knospt, sprießt und duftet es im Mai nur so - Maiglöckchen, Flieder, Rosen und Lilien; die Bäume schlagen aus, Genießer freuen sich auf Maischolle, Maibock und Maibowle; Männlein und Weiblein tummeln sich draußen im Sonnenschein. Tucholsky weiß, was passiert: "Beide haben sogenannte Gefühle: Man ruft diese am sichersten dadurch hervor, dass man gewisse Nervenpunkte des Organismus in Funktion setzt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab." Das funktioniert zwar auch mal im launischen April oder langweiligen Juni, aber besser allemal im Mai.

"Mädchen lacht, Jüngling spricht: Fräulein, woll'n Sie oder nicht, draußen ist Frühling. Der Poet Otto Licht hält es jetzt für seine Pflicht, er schreibt dieses Gedicht", bringen es die Comedian Harmonists auf den Punkt. Das Codewort des Frühlings ist natürlich - Mai; wenn der anfängt, kommt's dicke. Wird im April noch gestöhnt: "Komm lieber Mai und mache/die Bäume wieder grün! Und lass mir an dem Bache die kleinen Veilchen blüh'n!" (Christian Adolph Overbeck), bemerkt Hermann Adam von Kamp bald darauf: "Alles neu macht der Mai,/Macht die Seele frisch und frei." Johann Heinrich Voß schrieb längliche O-wie-Gedichte ("O wie lacht/ frisch/jauchzt/labt ..."). Einer der großen Mai-Liebhaber, Nationalhymnen-Dichter Hoffmann von Fallersleben, ist noch poetischer: "Im Maien, im Maien, da ist es so schön, Da blüht es im Tal, und da grünt's auf den Höh'n; Es singen die Vögel in jubelnder Lust, was lebet, das ist sich des Lebens bewußt." Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe, der Glückspilz von Weimar und Experte in Sachen jubelnder Lust, hört deutlich mehr: "Es dringen Blüten aus jedem Zweig und tausend Stimmen aus dem Gesträuch."

Georg Forster verrät: "Mir ist ein schön Jungfräulein/Gefallen in meinen Sinn" und träumt: "Bei ihr, da wär mir wohl", während der Charmeur Heinrich Heine hellsichtig analysiert: "Im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen, da ist in meinem Herzen die Liebe aufgegangen" und nichts anbrennen lässt: "Im wunderschönen Monat Mai,/Als alle Vögel sangen,/Da hab ich ihr gestanden/Mein Sehnen und Verlangen." Walther von der Vogelweide schwärmt: "Durchsüßet und geblümet sind die reinen Frauen. So Wonnigliches gab es niemals anzuschauen" und ist akut gefährdet: "Wenn man ein schönes Weib erschaut, das kann den Sinn erquicken, wer an Kummer litt, wird augenblicks gesundt", kichern die Comedian Harmonists schon kackfrech: "Die ganze Welt ist wie verhext, Veronika, der Spargel wächst."

Dabei ist er ein Etikettenschwindler, der Mai. Von wegen "Wonnemonat"! "Wunnimanot" soll das auf Althochdeutsch geheißen haben, was nichts mit den Freuden der Liebe zu tun hat, sondern "Weidemonat" bedeutet, weil im Mai das Vieh endlich wieder nach draußen darf. Wer lieben will im Mai, kann sich aber locker auf ältere Traditionen berufen: zum Beispiel die heidnischen "Beltane"-Feiern - Feste des Neubeginns und der Fruchtbarkeit, von den Christen später ordnungsgemäß verdammt und in der Walpurgisnacht attraktiv verteufelt. Oder auf Maia, von manchen als Namensgeberin unseres Wonnemonats verdächtigt - eine der griechischen Plejaden, Mutter des Hermes, die in Rom zur Fruchtbarkeitsgöttin mutierte. Es könnte aber auch Jupiter maius gewesen sein, der römische Gott des Frühlings und des Wachstums.

Was immer man da glaubt, die allgemeinen Mai-Gefühle sind kaum zu bremsen: "Ein Maitag ist ein kategorischer Imperativ der Freude", vertraut Christian Friedrich Hebbel seinem Tagebuch an. Und Goethe ahnt den Erfolgsdruck hinter solcher Massenfreude: "Wer nicht liebt, wird sich des schönen Maien so gut er kann, doch leider halb nur freuen." Ob dann wenigstens ein Mai Tai hilft? Oder zwei?