Gisbert zu Knyphausen ist ein Poet, er singt nur von sich und allen - das ausverkaufte Kampnagel-Konzert irritierte auch ihn.

Hamburg. Von weiter hinten sieht Gisbert zu Knyphausen ziemlich klein aus. Er steht da in seinem kurzärmeligen Hemd, er steht ein bisschen gebückt und schaut verschämt zu Boden oder mit leeren Blick ins Publikum. Das muss ja auch einschüchternd sein, wenn man im großen Saal auf Kampnagel gegen diese Wand singt, eine Wand aus 800 Leuten. Gegen die Sitzreihen, die immer weiter nach oben wachsen, wie in einem Fußballstadion oder in einem Amphitheater. Und dabei ist Gisbert zu Knyphausen gar kein Gladiator, ganz und gar nicht. Er ist ein trauriger Barde, der traurige Lieder singt. Ein Leidensmann, ein Sehnsüchtiger.

Aber den unsicheren Jungs hat Gott die Gitarre geschenkt, und er hat den Sensiblen das Gespür für zarte Melodien und das Sprachgefühl für intelligente, spröde Texte mitgegeben. Knyphausen, der Abkömmling einer hessischen Adelsfamilie, hat zu seinem Konzert außerdem ordentlich Verstärkung mitgebracht. Eine prächtig rockende Band, die schon im ersten Stück "Hey", das auch das erste der neuen Platte mit dem fantastischen Titel "Hurra! Hurra! So nicht" ist, einen zaghaften Anfang mit brachialem Geschrubbe kontert.

Das ist gut zum Warmwerden, wenn man kräftig in die Saiten haut; textlich ist dieser Opener natürlich auch eine Selbstberuhigung: "Hey, hey, alles is' okay, ich laufe gegen Wände und rühr in meinem Tee". Wobei der Tee in diesem Falle Weißwein ist, der Mann kommt aus dem Rheingau. Alkohol lockert die Zunge, das ist bekannt. Knyphausen nimmt einen hastigen Schluck und sagt: "Schön, dass ihr alle da seid, aber ihr seid so viele."

Er wird solche Dinge den ganzen Abend über immer wieder sagen, das Publikum wird immer wieder schmunzeln und dabei den Liedermacher sehr sympathisch finden. Gerade weil er so tapsig wirkt zwischen den Songs. Er hätte noch viel mehr Karten verkaufen können, dann wäre die Bühne etwas weiter nach hinten gewandert. Knyphausen hat darauf verzichtet. Lampenfieber. Dabei hätte Gisbert zu Knyphausen allen Grund, selbstbewusst zu sein und, ja doch, auf dicke Hose zu machen: Seine neue CD verkauft sich wie die alte sehr gut, die Kritiker und Fans lieben ihn gleichermaßen, der "Rolling Stone" nennt ihn "ein verdammtes Genie".

Aber so verhalten sich die Dinge nicht, und deswegen ist der nachdenkliche, wehmütige Knyphausen, bei dem sich die melancholischen und die euphorischen Momente abwechseln, ein Poet geworden. "Die große Stadt liegt da wie ein verwundeter Vogel", singt er im ans Herz gehenden Song "Kräne". Angeblich ist er ja nach Berlin gezogen, soll er doch - aber so schön von Hamburg gesungen wie in "Ich bin Freund von Klischees und funkelnden Sternen" und dem überragenden "Grau, grau, grau" hat schon lange niemand mehr. Auf Kampnagel, heute ausverkauft, goutieren sie alles, was der Meister an diesem lauen Frühlingsabend macht. Und sie sehen und hören, wie Knyphausen lockerer wird, es baut sich eine Beziehung auf zum Publikum.

Ach, eigentlich war sie von Anfang an da, seit dem ersten Akkord. Wie kann man Knyphausen nicht mögen, diesen Typen, der eigentlich nur über sich und eigentlich doch über uns alle singt? "Bevor das Grau, Grau sich hier festbeißt/und sich langsam durch meine Adern schiebt/durch meine Adern drängt und sich dort festbeißt/will ich einmal noch am Ufer stehen/und schauen, wohin die Schiffe fahren/ob mich eins mitnimmt", dichtet Knyphausen herrlich ungelenk, aber man versteht jedes Wort. Die Menschen (größtenteils studentischer Prägung, viele Mädchen) auf Kampnagel hängen an seinen Lippen, und im verrockten "Neues Jahr" steigt die Hitze: Zwei E-Gitarren und Knyphausens akustische spielen sich ins Delirium.

Zum Schluss gibt es Sekt, schwungvoll eingekippt. Ein Prost aufs neue Album! Es wirkt wie beim Abendmahl, nach dieser Messe, die der Musiker hier gelesen hat. Obwohl man ihn niemals Prediger nennen würde, er singt ja nur kleine Balladen, aber große Wahrheiten. Er verteilt ein paar Gläser ins Publikum, grinst, dankt seinem Produzenten, seinem Manager, schrabbelt "Erwischt" und schlurft von der Bühne.