Mark Andre hat aus dem C im Vornamen ein K gemacht. Der Protestant aus Paris verkörpert bei Hamburgs österlichem Musikfestival die Moderne.

Hamburg. Jahrzehntelang waren wir Deutschen Weltmeister in der tristen Kunst der Nestbeschmutzung. Kein schlimmer Land gab's als das unsere, im Ausland genierten wir uns für unsere Staatsangehörigkeit. Seit der Wiedervereinigung, vor allem aber seit dem Sommermärchen 2006, hat der kontinuierliche Selbstbewurf mit Asche aufs deutsche Haupt merklich nachgelassen. Inzwischen finden wir uns ganz in Ordnung.

Wer sich an die deutsche Selbstgeißelung, die bekanntlich ehrenwerte Gründe hatte, noch erinnern kann, der wird sich erst mal wundern über einen Franzosen, der nichts lieber sein will als deutsch. Wie kann einer aus dem Land von Liberté, Égalité und Baguette dem gallischen Hahn derart vollständig entsagen, dass er aus dem C seines Vornamens ein K macht und sogar den Accent aigu auf seinem Nachnamen tilgt? Wer im Gespräch mit dem Komponisten Mark Andre sein Restfranzösisch entstauben möchte, lasse das lieber bleiben. Der in Paris geborene Elsässer hat im Deutschen zwar einen starken französischen Akzent behalten, aber die Sprache seines Herkunftslands spricht er hier nur ungern.

Seit gestern wohnt Andre in einem kleinen Hamburger Hotel. Er überwacht Konzertproben und wohnt bis Ostermontag einer ganzen Reihe von Aufführungen seiner Werke bei. Denn in diesem Jahr verkörpert er einen großen Teil jener Moderne, die Brahms alljährlich metaphorisch bei den "Ostertönen" trifft - dem von Simone Young 2006 ins Leben gerufenen Musikfestival.

Mark Andres Loblied auf Deutschland hat viele Strophen, und weil es die ganze Zeit von Musik und den fabelhaften Möglichkeiten für Musiker handelt, wird einem beim Zuhören ganz warm ums deutsche Herz. "In den 70-er- und 80er-Jahren hatte man die Wahl, ob man bei Klaus Huber, Karlheinz Stockhausen, György Ligeti, Helmut Lachenmann oder Mauricio Kagel studieren wollte, um nur ein paar zu nennen, bei denen sich das gelohnt hätte", sagt Andre mit leuchtenden Augen. In Frankreich gab und gibt es für junge Komponisten exakt ein Ausbildungsinstitut von Rang, das Conservatoire National Supérieur de Musique, und das liegt selbstredend in Paris. Dessen Potenzial glaubte Andre nach ein paar Studienjahren bei Gérard Grisey für sich ausgeschöpft zu haben.

Als er eines Tages in der Pariser Bibliothek die Partitur von Helmut Lachenmanns "Ausklang" entdeckte, wusste er, wo er weiterlernen wollte: in Stuttgart, bei dem großen Klangerfinder und Komponisten des "Mädchens mit den Schwefelhölzern".

Inzwischen zählt Mark Andre, 45, zu den wenigen arrivierten Schöpfern neuer Musik. Seit letztem Herbst hat er eine halbe Professur für Komposition in Dresden, neue Stücke von ihm werden nicht nur in Donaueschingen oder Witten aufgeführt, sondern auch in Köln, Berlin, München, Paris oder Brüssel. Der Grandseigneur der französischen Moderne, Pierre Boulez, dirigiert seine Musik, bis 2013 muss Andre ein abendfüllendes Werk für die Stuttgarter Oper abliefern. Die "Ostertöne" sind jedoch das erste größere Festival, das sein Schaffen ausführlich würdigt: "Sonst wollen Festivals immer Uraufführungen. Aber der Dramaturgin Katrin Zagrosek und Simone Young ging es speziell um die religiöse Dimension, die in vielen meiner Stücke anklingt."

Mark Andre ist Protestant - auch das prädestiniert ihn im katholisch geprägten Frankreich zum Außenseiter. Sein dreiteiliges Werk "... auf ...", das zur Gänze beim Abschlusskonzert vom SWR-Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling aufgeführt wird, bezieht seine Gestaltungsideen aus dem Glauben an die Auferstehung Christi, ohne deshalb illustrativ, dekorativ oder metaphorisch zu sein. Sechs Schlagzeuger, im ganzen Raum verteilte Orchestergruppen und Live-Elektronik bürgen dafür, dass es sich bei "...auf..." nicht um frömmlerische Erbauungsmusik handelt. Tatsächlich entzündet sich Andres künstlerische Fantasie gerade an der Spannung zwischen der "existenziellen Erfahrung des Menschen und der kryptischen Botschaft der Bibel". Trost ist Religion deshalb für ihn nur bedingt: "Als Protestant bleibt man allein und wartet."

Seine Obsession für deutsche Präpositionen lebt der Wahlberliner Andre in vielen Werktiteln aus. Mit "...als...", "...durch..." und "...zu..." erklingen bei den "Ostertönen" auch drei seiner Kammermusikstücke, die von einer ebenso feinen wie stabilen Struktur gekennzeichnet sind. Kartenhäuser des Klangs, die kein Wind umzublasen vermag.

Auf der Partitur für sein Musiktheaterstück "22,13", die Andre zur ersten Probe mit den Hamburger Philharmonikern mitgebracht hat, steht noch André. Den Akzent hat der Komponist mit einem Bleistift wellenlinienartig durchgestrichen. Vor einigen Jahren hat seine deutschstämmige Familie vom Recht der Korrektur französisierter Namen Gebrauch gemacht. Seitdem heißt er nicht mehr Marc André.

Internet: www.ostertoene.de