Hip-Hop ist ohne kaum denkbar, im Oscar-prämierten Film “Precious“ wurde es zur Herausforderung für die Synchronisation.

Hamburg. Wenn Leonardo DiCaprio einem Gangster mit fast geschlossenem Mund entgegenzischt "I fuck you up!", weiß sein Gegenüber, dass es gleich brutale Schläge hageln wird. Wenn Jude Law einem Mädchen mit leuchtenden blauen Augen "I fucking missed you" sagt, wird er ihr Herz mit Sicherheit brechen. Und wenn ein Astronaut an die Nasa-Zentrale meldet "Houston, we have a fucking problem", wissen wir hier auf der Erde, dass es oben im Weltall ein verdammt ernsthaftes Problem gibt. F.U.C.K., das sind vier Buchstaben und Dutzende von Bedeutungen. "Ich mach dich fertig!", "Ich habe dich so, so sehr vermisst" oder eben die Astronauten mit ihrem "verdammten Problem".

Puritaner und Zensoren hätten das F-Wort am liebsten in einen Tresor geschlossen, doch mit der richtigen Kombination bekommt es etwas Schillerndes und geht weit über seine ursprüngliche Bedeutung, die Ausübung des Geschlechtsverkehrs, hinaus. In diesem Feld hat es etwas pornografisch Mechanisches und würde von einem Neuzeit-Casanova sicher nie benutzt werden. Mit "fuck" lässt sich aber auch Enttäuschung und Zorn, Verwirrung und Ärger, Staunen und Resignation ausdrücken. Es wird negativ und positiv benutzt, es funktioniert als Verb, Adverb, Nomen, Ausruf und Bindewort.

Wer sich dieser Tage das Drama "Precious" über ein 16-jähriges Mädchen aus Harlem in der Originalfassung ansieht, wird darin eine "Fuck"-Tirade erleben, die in der Kinogeschichte ihresgleichen sucht und alles andere als "fucking funny" ist. Precious' Mutter (für ihre Darstellung erhielt die Schauspielerin Mo'Nique gerade einen Oscar) überschüttet ihre Tochter mit einer Flut von F-Wörtern und anderen Obszönitäten, die wie ein tätlicher Angriff sind. Diese Beschimpfung klingt wie ein wütender Rap, der sich kaum ins Deutsche übertragen lässt. Doch das deutsche Synchronisationsteam musste sich dieser Aufgabe stellen.

"Gerade diese Szene war sehr schwierig", sagt Christoph Cierpka, der Regisseur der deutschen Synchronfassung. "Es ist nicht möglich, diese Wörter einzudeutschen. 'Verfickt' passt zum Beispiel nicht. Hinzu kommt der musikalische Rhythmus der Sprache, der zum Black American hinzugehört. Wir mussten ebenfalls einen besonderen Rhythmus finden, denn die Mutter ihre Tochter lediglich anbrüllen zu lassen, wäre langweilig."

Mo'Niques Sprache ist authentisch, sie benutzt die Sprache der Straße und der schwarzen Gettos. Seit Ende der 70er-Jahre Hip-Hop aufkam und immer populärer wurde, hat dieser Straßenslang sich bis weit in das weiße Amerika ausgedehnt. "Zeitgenössische Jugendkultur, insbesondere Hip-Hop, hat die englische Sprache um viele Begriffe erweitert", schreibt Emmett G. Price, Professor an der Northeastern University von Boston. Auch "Fuck" fand sich in immer neuen Kombinationen und neuen Bedeutungen wieder. Den prüden, überwiegend weißen Amerikanern behagte diese sprachliche Obszönität zwar nicht, aber sie war angesichts von Millionen verkaufter Rap-CDs unaufhaltbar. Schwarze Rap-Künstler brachten den Slang in die Zimmer weißer Kids und deren Eltern auf die Palme. CD-Aufkleber mit der Aufschrift "Parental Advisory: Explicit Content", also der Hinweis an Eltern auf deutliche sexuelle Inhalte, konnten die Karrieren des Wu-Tang Clan, von 50 Cent oder Snoop Doggy Dogg nicht stoppen. "I don't give a fuck!", war ihre Reaktion - "Es ist mir total egal."

Auch "Precious" bekam wegen seiner explizit deutlichen Sprache das Verdikt der Zensoren zu spüren. Während Lee Daniels' preisgekrönter Film in Deutschland ab zwölf Jahren freigegeben ist, bekam er in den USA ein "R". Dieses "Restricted" (eingeschränkt) verbietet Teenagern unter 17 Jahren den Kinobesuch. Nur in Begleitung ihrer Eltern dürfen sie den Film sehen, was bei vielen Halbwüchsigen dann nur noch halber Spaß ist. Anders als bei uns liegt der Fokus der US-Zensurbehörde weniger auf Gewalt, sondern mehr auf deutlicher Sprache und Nacktszenen.

Wenn jemandem in einem öffentlichen Interview oder in einer Straßenumfrage für das Fernsehen das Wort "Fuck" rausrutscht, wird es mit einem "Beep" unkenntlich gemacht. Geschrieben wird es mit Sternchen versehen und sieht dann so aus: "F***". Es entstand auch eine Reihe ähnlicher Begriffe wie "feck", "fork" oder "fudge", die alle "fuck" meinen und der lautmalerische Versuch sind, nicht obszön zu sprechen.

"Fuck" und das verwandte "Motherfucker" werden sehr häufig als Schimpfwort benutzt, können aber auch positiv gewendet werden. Eine Vielzahl von Beispielen für diesen unterschiedlichen Gebrauch findet sich in der Autobiografie des Jazz-Trompeters Miles Davis, die 1989 in den USA erschien und ein Jahr später bei Hoffmann & Campe übersetzt von Brigitte Jakobeit herauskam. Davis benutzt das M.F. geradezu inflationär, aber Jakobeit findet immer wieder deutsche Varianten, die den Tonfall und die Bedeutung genau treffen. "It was a motherfucker" übersetzt Jakobeit mit "Es war das Schärfste", "Sarah Vaughn (berühmte Jazzsängerin) was a motherfucker too" mit "Sarah Vaughn ist ein geniales Miststück" und "it was hotter than a motherfucker" mit "es war knallheiß".

Wie rüde die Sprache in Kinofilmen geworden ist, belegen Listen im Internet über die Häufigkeit des Gebrauchs von "Fuck". Aus den 70er-Jahren taucht nur das Fabrikarbeiter-Drama "Blue Collar" in diesen Übersichten auf. In den vergangenen 20 Jahren dagegen haben Regisseure aus Gründen der Authentizität das F-Wort so häufig benutzt wie erforderlich. Angeführt wird die Rangliste von Gary Oldmans Arbeiterfamiliengeschichte "Nil By Mouth" (470 fucks) vor Spike Lees "Summer Of Sam" (432) und Martin Scorseses "Casino" (422).

"Precious" taucht in dieser Liste auf den vorderen Plätzen übrigens nicht auf. Trotz Mo'Niques obszöner Wortkaskade. Mit 73 "Fucks" rangiert der Film nur auf den hinteren Plätzen.