Im letzten Hamburg-“Tatort“ war die Hansestadt kaum wiederzuerkennen. Aus stadtnostalgischer Sicht war die Folge eine Enttäuschung.

Hamburg. Für Exil-Nordlichter wie mich ist der Hamburg-"Tatort" erste Bürgerpflicht. Und wahrscheinlich geht es nicht nur mir so, dass ein Großteil des sonntagabendlichen "Tatort"-Vergnügens im Wiedererkennen von Schauplätzen besteht: "Da war ich mal! Kenn ich! Um die Ecke wohnen doch die Müllers!" - Solcherlei sachdienliche Hinweise machen die kriminalistische Arbeit der Ermittler regelmäßig zur Nebensache.

Aus stadtnostalgischer Sicht war die neue "Tatort"-Folge "Vergissmeinnicht" eine Enttäuschung. Hamburg zum Wiedererkennen dürfte nicht die Devise dieses versuchten Industriespionage-Thrillers gewesen sein, sofern sich die Hansestadt in dem knappen Jahr meiner Abwesenheit nicht restlos in eine Art durchdesignte HafenCity verwandelt hat. Die Geschichte um den Flugzeughersteller Airbus alias Apat und die Freude über die Dreherlaubnis auf dem Werksgelände von Finkenwerder haben offenbar zu einer Anzugträger-Edelkarossen-und-"Schöner-Wohnen"-Optik geführt, in der die Unterschiede zwischen Designer-Büro und Atelier-Wohnzimmer, zwischen Arbeit und Freizeit vollends verschwimmen, zumal das wichtigste Requisit privat wie beruflich der Golfschläger zu sein scheint.

Natürlich verlangt niemand von einem "Tatort" eine repräsentative Städteführung oder gar das touristische Abgrasen der immer gleichen Wahrzeichen. Und auch das St.-Pauli-Hafen-und-Huren-Klischee hat auf der Mattscheibe sattsam ausgedient. Doch es gibt einem schon zu denken, wenn selbst die Haltestelle Jungfernstieg so aufpoliert und edel wirkt, dass keine Spur vom Schmuddelimage des Öffentlichen Nahverkehrs mehr bleibt und man stattdessen das Gefühl hat, an irgendeinem aseptischen Flughafen-Terminal zu sein.

Möglicherweise habe ich zu lange durch die zerkratzten Scheiben der Berliner S-Bahnen geschaut, doch es bleibt nach 90 "Tatort"-Minuten das ungute Gefühl, dass dieser Krimi nicht in Hamburg gespielt hat, sondern in Ole von Beusts städteplanerischer Vision von Hamburg, wo Glasbüros und Galery-Houses zur Kulisse einer eiskalten Geschäftswelt verschmelzen, so todschick und unpersönlich wie die Benutzeroberflächen der Edel-PCs.

Da wirkt es beinahe schon wie Ironie, dass in der ganzen Geschichte überhaupt nur zwei wärmere Orte vorkommen: ein wenig Vertrauen erweckendes China-Restaurant und eine Schwulenkneipe.

Der Schriftsteller und Dramatiker John von Düffel war bis zum vergangenen Jahr Dramaturg am Thalia-Theater und wechselte mit Intendant Ulrich Khuon ans Deutsche Theater nach Berlin. Aktuell bereitet von Düffel, der in Potsdam lebt, die Autorentheatertage vor, die am DT zu ersten Mal vom 8. bis 17. April stattfinden werden. Zu seinen Veröffentlichungen zählen die Romane "Vom Wasser" und "Houwelandt", die Novelle "Hotel Angst" und zuletzt die Komödie "Das Leben des Siegfried".