Seit dieser Spielzeit bereichert die gebürtige Polin das Thalia-Ensemble. Ihre Präsenz hinterlässt Spuren - nicht zuletzt beim Zuschauer.

Hamburg. Am rechten Handgelenk hat sie einen grünblauen Fleck. Wenn sie gestikuliert, fällt er dem Gegenüber ins Auge. "Ach", macht Patrycia Ziolkowska, darauf angesprochen, und schaut sich den Fleck neugierig an. "So was seh ich ja schon gar nicht mehr, na ja, Schauspielerin halt, Sie sollten mal unsere Knie sehen", sagt sie und lacht und zuckt mit den Schultern und schaut dann doch noch mal kurz aufs Handgelenk. "Ich kann mich gar nicht entsinnen, wobei dieser jetzt ..."

Ihre Art zu spielen hinterlässt Spuren. Nicht nur auf dem Körper der Künstlerin, auch und vor allem beim Zuschauer. Wer Patrycia Ziolkowska, die seit Spielzeitbeginn das Ensemble des Thalia-Theaters um eine eigenwillige, sehr individuelle Farbe verstärkt, einmal auf der Bühne, im Fernsehen oder auf der Kinoleinwand gesehen hat, der vergisst sie nicht. Ihren für deutsche Zungen sperrigen Namen, der die polnische Herkunft verrät - den vielleicht. Das Gesicht jedoch, die strahlenden Augen, den trotz Proben-Augenringen wachen Blick, gerahmt von kurzen blonden Locken, nicht mehr.

Eigentlich müsste sie berühmt sein. Für ihre Hauptrolle in Fatih Akins "Auf der anderen Seite" hat sie 2008 den Europäischen Filmpreis und den Deutschen Filmpreis in Gold bekommen, für "Solino" hatte Akin sie schon früher entdeckt. Mit der Jelinek-Inszenierung "Die Kontrakte des Kaufmanns" ist sie gerade erst zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden, bei den Thalia-Lessingtagen war sie mit der Kölner Produktion "Das Goldene Vlies" Gast im eigenen Haus, in Köln war sie vorher engagiert. Bereits während des Studiums in Bochum arbeitete sie mit Leander Haussmann, sie hat unter Tom Stromberg am Deutschen Schauspielhaus gastiert, in Hannover, bei den Salzburger Festspielen und an der Volksbühne Berlin. Unter anderem.

Patrycia Ziolkowska strahlt eine seltene Mischung aus Sprödheit und Kraft aus, wirkt gleichzeitig fast burschikos und sehr mädchenhaft, hat etwas verspielt Lolitahaftes und eine sehr erwachsene Ernsthaftigkeit. Ihre Aufmerksamkeit, ihre unbedingte Anwesenheit, ihre Fokussiertheit sind auffallend, sowohl auf der Bühne als auch im persönlichen Gespräch. Obwohl sie in der inoffiziellen Thalia-Kantine "Le Paquebot" am Gerhart-Hauptmann-Platz mit Blick zur Café-Tür sitzt, schaut sie nicht ein einziges Mal zum Eingang, wenn jemand eintritt. Sie lässt sich nicht vom Gespräch ablenken. Sie erzählt auch nicht, wie das manche Schauspieler gern tun, für den gesamten Raum, sie ist ganz bei ihrem Gegenüber, macht Pausen, beißt sich beim Nachdenken von innen auf die Lippen, formuliert um, beginnt neu.

Erzählt sie von den Proben - heute ist am Thalia Premiere ihres neuen Stückes "Kinder der Sonne" -, spricht sie von "Wir", selten von "Ich". "Leichtigkeit ist gerade unser Thema", sagt sie dann zum Beispiel. "Leicht zu sein ist so schwer. Man muss als Schauspielerin vertrauen können, um sich hinzugeben." Luk Perceval, dem Regisseur des düsteren Gorki-Dramas und Oberspielleiter des Thalia-Theaters, vertraut sie. Er war es, der sie nach Hamburg geholt hat. Mit ihm hatte sie in Salzburg einmal einen mehrstündigen Molière-Abend erarbeitet, "wir haben fünf Monate geprobt, das war eine sehr innige Begegnung. Das wollten wir gern fortsetzen."

Andere wichtige Regisseure für sie sind Nicolas Stemann oder Dimiter Gotscheff, mit dem sie "Ödipus, Tyrann" erarbeitete, eine nicht leicht zugängliche, aber sehr klare, bildmächtige Inszenierung, in der sie als Chorführerin zur tragenden Figur wird. Sie wirkt darin wie ein Kraftwerk, ihre Konzentration bündelt auch die des Publikums.

Patrycia Ziolkowska ist nicht auf die handelsübliche Weise hübsch, sie ist eher: schön. Dass man das allerdings bisweilen gar nicht merkt, wenn man ihr beim Spielen zuschaut, ist eine ihrer großen Qualitäten. Vordergründige Schönheit, Eitelkeit gar, kann der Wahrnehmung ja manchmal sehr im Weg stehen.

Auch der Lebensweg der Schauspielerin ist kein gewöhnlicher. Geboren ist Patrycia Ziolkowska 1979 in Polen nahe der Grenze zu Weißrussland, schon mit zweieinhalb ist sie mit den Eltern über Belgien nach Deutschland gekommen. Sie ist in Aachen mit beiden Sprachen aufgewachsen, fühlt sich auch, noch immer, in Polen verwurzelt. "Im meinem Innern ist ja auch das Andere. Ein doppelter Herzschlag vielleicht." Im Probenprozess benutzt sie das manchmal. Freunde haben ihr beschrieben, dass sie weicher wirkt, wenn sie polnisch spricht.

Vielleicht ist es auch dieser "doppelte Herzschlag", der ihr doppelte Kraft verleiht, der mit verantwortlich dafür ist, dass Patrycia Ziolkowska bisweilen sehr zielstrebige, überraschend angstfreie Entscheidungen trifft. Ihr Abitur zum Beispiel hat sie mit 17 geschmissen. Ein Jahr vor dem Abschluss. Sie wusste schließlich, dass sie Schauspielerin werden wollte. Ob sie das je bereut hat, wenigstens ganz kurz? "Nie!", kommt prompt die Antwort. Und ein ehrliches Strahlen. "Überhaupt! Gar! Nicht! Es war so toll, mit 17 das Leben selbst in die Hand zu nehmen!"

Ihre Energie ist ein Teil ihrer Persönlichkeit, wird nicht bloß bühnenwirksam angeknipst, sondern behutsam freigelegt. "Rasend wär ich, wenn ich im ganzen Gebiet der Möglichkeit mich nicht versuchte", steht auf einem Zettel, den sie immer bei sich trägt, ein Kleist-Zitat als Lebensmotto.

Im Mai hat Patrycia Ziolkowska 21 Vorstellungen, 13 davon nicht in Hamburg. Eine Beschwerde über die Belastung hört man von ihr nicht. Sie funkelt schon wieder. "Das wird lustig!" Und auftanken kann sie ja im Sommer, sie will mit Freund und Rucksack in die Fremde. Nach Asien zum Beispiel, vielleicht ein paar Woche durch Vietnam, mal sehen. Man sieht sofort ein, dass es ihren Adrenalin-Haushalt durcheinanderbrächte, wenn sie bloß faul am Strand liegen und sich von der Sonne bescheinen lassen würde.

Von Fatih Akin bis zum Thalia - Fotos der Schauspielerin unter www.abend blatt.de/kultur-live