Arbeiten bis der Arzt kommt - für immer mehr Menschen ist das kein Spruch mehr, sondern ein Problem, das Körper und Seele aus der Bahn wirft.

Hamburg. Der Tag, an dem sie zusammenbrach, war ein Tag wie jeder andere. Eigentlich. Miriam Meckel kehrte von einer mehrwöchigen Reise nach Berlin zurück, sie musste ihre Sachen packen, um am nächsten Morgen in die Schweiz zurückzufahren. Es ging nicht. Sie stand zwischen den Koffern wie festgefroren, unfähig, etwas Sinnvolles zu tun. In ihrer Verzweiflung setzte sie sich vor ihren Laptop - eine Handlung, so vertraut und alltäglich wie Kaffeekochen am Morgen. Als sie im Posteingang 50 ungelesene Mails vorfand, fing sie an zu weinen. Und hörte nicht mehr auf.

Informationsüberlastung, signalisierte der zitternde Körper - und zog die Notbremse. Schwerer Erschöpfungszustand in Verbindung mit einer Infektion, diagnostizierte wenig später der Arzt, zu dem Fernsehmoderatorin Anne Will die Lebensgefährtin brachte. Zu Neudeutsch: Burn-out. "Ich hasse dieses Wort. Ich mag es nicht für die Beschreibung meines Zustandes benutzen", erklärt Meckel - und tut es doch. Obschon sie weiß, dass "das Phänomen Krankheit in unserer Gesellschaft nicht erwünscht ist".

Miriam Meckel hat über ihre Erkrankung und den Aufenthalt in einer Allgäuer Klinik ein Buch geschrieben, "Brief an mein Leben" (Rowohlt Verlag) heißt es und ist eine schonungslos ehrliche Selbstanalyse, die im Kern um die tägliche Überforderung - und den späteren Streik - von Körper und Seele der 42-Jährigen kreist: "Ich war 15 Jahre um die Welt gereist, hatte gearbeitet, geredet, geschrieben, akquiriert, repräsentiert, bis der Arzt kam. Im Wortsinne."

Gleichzeitig ist es eine Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft, in der Probleme nur noch Herausforderungen heißen und Menschen sich als Teil eines Räderwerks empfinden, in dem sie funktionieren müssen. Eine Gesellschaft, in der nach einer Studie der DAK knapp 800 000 Beschäftigte regelmäßig Medikamente nehmen, um im Büro mithalten zu können und angeblich jeder Neunte hierzulande unter Burn-out leidet, wie die Betriebskrankenkassen schätzen.

Nun bedeutet ein Problem zu erkennen ja nicht zwangsläufig, es aus seinem Leben verbannt zu haben. Auch um dieses Paradoxon geht es in "Brief an mein Leben": zu wissen, welche Dinge einen auf Dauer krank machen können - die tägliche Flut von Mails etwa, die Erreichbarkeit rund um die Uhr, die Angst vor dem Jobverlust - und sich ihnen trotzdem bereitwillig auszuliefern. Wie ein Süchtiger, der nicht Herr ist über die eigenen Entscheidungen. Der Weg vom Verstehen zum Umsetzen ist oft schwer.

Erst recht für die Kommunikationsexpertin Meckel, die gleich nach ihrer Ankunft zu einsamen Tagen auf dem Klinikzimmer verdonnert wird, ohne Handy, ohne Laptop, ohne Buch und Musik. Sie tut dann einfach mal: nichts. Außer fühlen, denken. Sich-neu-denken.

Dass aus der verordneten Passivität nun ein Buch entstanden ist, das vermutlich ein Bestseller werden wird, klingt erstmal wenig konsequent. Und entbehrt doch nicht einer gewissen Logik: Schreiben kann Bestandteil der Persönlichkeit sein. Und nicht darum, einen Menschen komplett zu verändern, geht es ja bei der Behandlung der Krankheit, sondern um eine Neuordnung der eigenen Wahrnehmung, der Einstellung seinen Gefühlen und Instinkten gegenüber. Zudem ist das Buch für Meckel ein quasi öffentliches Versprechen, "die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen".

Der Psychoanalytiker Richard Freudenberger führte 1974 erstmals den Begriff Burn-out ein. Auch Thomas Manns Romanfigur Thomas Buddenbrook litt nach heutiger Definition an der Krankheit. Der Psychoanalytiker Hansjörg Becker definierte Burn-out in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" als einen "Zustand körperlicher, psychischer und geistiger Erschöpfung, der durch normale Erholungszeiten nicht mehr kompensiert werden kann". Bei Miriam Meckel machte sich dieser Zustand wie folgt bemerkbar: Nacht für Nacht träumte sie davon, wie sie Koffer packte und etwas vergaß. Der erste bewusste Atemzug, den sie beim Aufwachen tat, war ein Seufzer. Um den Tag zu überstehen, teilte sie ihn immer in Fünftel - und hangelte sich von einer Aufgabe zur nächsten.

Öffentlich Schwäche zeigen, auch körperliche, will so gar nicht zu den Anforderungen einer sogenannten Leistungsgesellschaft passen. Über Erkrankungen wie Burn-out und Depression liegt ein unausgesprochenes Schweigegelübde, das immer mal wieder gebrochen wird, wenn sich ein Prominenter dazu bekennt: der Skispringer Sven Hannawald zum Beispiel, Fernsehkoch Tim Mälzer oder der Fußballspieler Sebastian Deisler.

Und jetzt Miriam Meckel, die sich auf den letzten Seiten des Buches mit den Worten an ihr eigenes Leben wendet: "Ich habe deine Benutzeroberflächen verstanden, aber nicht dein Betriebssystem. Ich habe nie gefragt, was dich wirklich im Innersten antreibt." Es sind andere Dinge als Kofferpacken und unbeantwortete Mails.