Was in der Buchbranche zählt, sind Provokation und Eigenmarketing. Starke Literatur bleibt aus wirtschaftlichen Gründen oft auf der Strecke.

Hamburg. Wer abschreibt kriegt üblicherweise 'ne Sechs. Heute kriegt man einen vorderen Platz in der Bestsellerliste und einen Buchpreis vielleicht noch obendrein. Zwar kennt die jüngere Literaturgeschichte weitaus dreistere Raubzüge als Helene Hegemanns "Axolotl Roadkill"-Roman. Andererseits bietet die Geschichte Anlass genug, einmal über die wahrscheinliche Ursache der "neuen Ästhetik" des Schreibens nachzudenken: Über die als "Intertextualität" bezeichnete Legitimation für Autoren, sich Ideen, Geschehen und Charaktere aus dem Füllhorn Internet nachzuschenken. Für lau und ohne Quellenangabe.

Besteht die hippe "Copy und Paste"-Generation etwa nur aus fantasielosen Schmarotzern? Oder wächst die angeblich existierende, urheberrechtsfreie "Internetkultur" vielleicht nur deshalb, weil Literaturschaffende hierzulande zumeist schlechter entlohnt werden als Baumwollpflücker in der Dritten Welt?

Fakt ist: Es gibt sehr viele Menschen, die vom Schreiben leben, die dies häufig sogar wollen, und zwar auf beiden Seiten des Schreibtischs. Etwa 2000 Buchverlage geben allein in Deutschland pro Jahr rund 185.000 Neuerscheinungen heraus. Allerdings sind es nur noch drei mächtige Verlagsgruppen (Random House, Holtzbrinck, Bonnier) und einige wenige selbstständige Großverlage wie Hoffmann & Campe, Suhrkamp oder Hanser, die sich die saftigen Kuchenstücke vom Teller ziehen, der große Rest prügelt sich um die Krümel.

Darüber hinaus wird zunehmend mit Stoffen aus dem Ausland Gewinn gemacht. Was zu der Frage führt, warum eigentlich so wenige deutsche Autoren internationale Erfolge erzielen - von ein paar ruhmreichen Ausnahmen wie etwa "Das Parfum", "Der Vorleser" oder "Schlafes Bruder" einmal abgesehen?

Weitere 22 000 Institutionen sind in irgendeiner anderen Weise verlegerisch tätig. Insgesamt betrug das Umsatzplus für die Hauptvertriebswege im Jahre 2009 gegenüber dem Vorjahr trotz Finanzkrise 3,4 Prozent (Gesamtumsatz: ca. 9,5 Milliarden Euro, davon eine Milliarde Euro im Online-Buchhandel).

Wie viele Menschen in Deutschland schreiben, ist dagegen Spekulation. Bekannt aber ist, dass immer weniger Autoren davon gut leben können, wobei "gut" sicherlich ein relativer Begriff ist. "Schreiben ist nun einmal Luxus", mahnt Uwe Heldt, Berliner Statthalter der traditionsreichen Schweizer Mohrbooks AG-Literatur Agentur. "Meinen Autoren, die ihr erstes Buch veröffentlichen konnten, empfehle ich, ihre ursprüngliche Einnahmequelle zunächst auf keinen Fall aufzugeben."

Tagsüber Frittenkoch oder Tellertaxi, die Nacht ist zum Schreiben da. Lukrative Hypes wie "Feuchtgebiete" oder eben auch "Axolotl Roadkill" täuschen über den finanziellen Notstand hinweg, unter dem das Gros der - auch begabten, talentierten - Schreiberlinge leidet. Denn welche Autoren können sich den Luxus des Schreibens leisten? Wer besitzt genug Zeit, Opferbereitschaft und finanzielles Durchhaltevermögen, um Erlebtes, Wahrhaftiges, Authentisches in Literatur zu verwandeln, nicht nur in "Bücher"?

Dass man zum Schreiben vor allem Muße benötigt, dass der Weg von der Idee zum anspruchsvollen Bestseller in der Regel lang, steil und steinig ist, wird mittlerweile übersehen.

Nur wer es - egal wie! - auf die Werbedisplays und Bücherberge in den Büchersupermärkten geschafft hat, sitzt im Trockenen.

Die nachwachsenden Autorengenerationen, die von der dünnen Luft auf diesem Gipfel träumen, halten häufig Zwangsdiät und knüppeln zur Finanzierung ihrer Leidenschaft zeitaufwendige Nebenjobs. Denn Idee, Exposé und Leseprobe reichen als Eintrittskarte nur noch selten aus, ein fertiges Buch sollte es mindestens sein. Themen sorgsam entwickeln: Fehlanzeige. "Kein Agent kann sich heute wie vor 20 Jahren mit einem Autor 14 Tage in einen Landgasthof zurückziehen und ein hoffnungsvolles Manuskript durch den Wolf drehen", erinnert Uwe Heldt an gute alte Zeiten.

Die Mehrheit der Autoren ist inzwischen gezwungen, Themen, Schreibgeschwindigkeit und nicht zuletzt auch sich selbst an den schnelllebigen Buchmarkt anzupassen, der lüstern nach Sensationen giert. Die unerhörte Provokation plus die Gabe, die eigene Persönlichkeit laut und schrill zu vermarkten, bilden daher zunehmend die Erfolgskriterien, während literarische und zugleich publikumswirksame Höchstleistungen wie "Tannöd" von Andrea Maria Schenkel oder "Die Vermessung der Welt" von David Kehlmann verschämt als "Glücksfälle" bezeichnet werden. Und im Sachbuchgeschäft sorgt zumeist der Name fürs Kassenklingeln: "Etwa 60 Prozent der erfolgreichsten Neuerscheinungen eines Jahres in diesem Segment werden von prominenten Autoren geschrieben", sagt Heldt. Agenturen und Lektorate passen sich dieser Entwicklung an: Was bitte schön ist Lyrik?

Auch die Halbwertszeit der zahllosen Neuerscheinungen, die bloß "ordentliche" oder gar kleinere Verkaufsauflagen erzielen, hat sich bei etwa vier bis sechs Monaten eingependelt. Dann folgt auch schon - wenn überhaupt - ruck, zuck das Taschenbuch, kommen die gebundenen Ausgaben ins moderne Antiquariat oder werden online verramscht - häufig direkt neben der teuren originalverpackten Ausgabe! Das Secondbook-Geschäft im Internet boomt, doch vom Umsatz generieren weder Verlage noch Autoren Einnahmen.

Die mächtige amerikanische "Authors Guild" hatte deswegen schon vor Jahren gegen Amazon geklagt. Und verloren. Nach einer ähnlich kämpferischen Autorengewerkschaft sucht man hierzulande übrigens vergebens.

Die dramatischen Folgen solcher Verkaufsstrategien sind geringere Druckauflagen, die wiederum die überlebenswichtigen Vorschüsse für Autoren schmälern; jedenfalls für diejenigen, die letztendlich mit ihrer Kärrnerarbeit dafür sorgen, dass die kilometerlangen Bücherregale hinter dem aggressiv promoteten Mainstream nicht verwaisen, im realen wie auch im virtuellen Bücherkosmos.

Schneller schreiben und verkaufen müssen bedingt auch rasanteres Lesen: Oliver Vogel, Literaturchef des Frankfurter S. Fischer Verlages, der mit drei weiteren Lektoren pro Jahr gut 4500 eingesandte Manuskripte bewältigen muss, glaubt jedoch, dass das inhaltliche Vorfiltersystem der literarischen Agenturen funktioniert. "Einem geübten Leser reichen zehn bis 20 Seiten völlig, um die Qualität eines Manuskripts bewerten zu können."

Doch ohne www.ich-kupfere-jetzt-einfach-mal-ab.com kann es mit dem Nachschub nicht mehr klappen. "Das Internet bietet Autoren eine Fülle von Inhalten, die ihnen früher so nicht zur Verfügung standen. Da kommt natürlich manchmal gesampelter Unsinn heraus", sagt Literaturagent Uwe Heldt lächelnd.

Doch selbst die recycelte Buchstabensuppe scheint den Lesern (noch) zu schmecken. Daran werden sie ja auch sukzessive gewöhnt.