Wenn ein Preis den Sinn hat, ein Buch ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit zu rücken, kommt diese Nominierung zu spät.

Hamburg. Helene Hegemanns Buch "Axolotl Roadkill" ist für den Buchpreis der Leipziger Buchmesse nominiert. Passiert ist das schon vor dem großen Hype und der ihn inzwischen überlagernden, mächtig aufgeblähten Abgeschrieben-umgeschrieben-zusammengeschrieben-Debatte. Wenn ein Preis den Sinn hat, ein Buch ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit zu rücken, kommt die Veröffentlichung dieser Nominierung zu spät. Denn über kaum ein anderes Buch wird so viel geredet wie über das Kaputte-Jugend-Buch der 17-jährigen Jungkreativen aus Berlin. Warum eigentlich?

Das Buch ärgert mächtig. Es hat eine rüde, dreckige, böse Sprache, erzählt von kaputten Typen, desillusionierter Jugend, perspektiv- und haltlosem Vor-sich-hin-Leben. Man stelle sich zwischen Drogen, Scheiße und hirnlosem Sich-treiben-Lassen alle Widerlichkeiten vor, die zum Schlüsselwort "Wohlstandsverwahrlosung" passen - und ist immer noch nicht ganz dort, wo die Autorin ihr literarisches Killerspiel inszeniert und es gleichzeitig altklug reflektiert. Es schreit kalte Wut, Zerstörung und Selbstzerstörung, eigentlich durchgehend - man fühlt sich nicht wirklich besser, wenn man's gelesen hat.

Das Drastische ist die Stärke des Buchs, es ist aber auch seine Schwäche. Denn es wirkt wie fingerfertige Großkotzigkeit, stellenweise kopflastig und seltsam abgebrüht, wie die 17 Jahre alte Autorin ein derart kaputtes Lebensgespinst bestsellerwirksam zusammengestrickt hat aus selbst Erlebtem, passend Gefundenem und wirksam Zugespitztem. Das Ergebnis stößt ab und fasziniert trotzdem.

Da hilft es wenig zu fragen, was stärker war: das intelligente Kalkül oder tiefe Verzweiflung? Was immer die Antwort ist: In diesem Buch steckt Leben - und zwar eines, das erschreckend hohl wirkt. Und ein Aufschrei hinter all den krass beschriebenen Vegetations- und Ausdrucksformen von Jugendlichen. Der lässt nicht kalt. Auch wenn sich die versammelte Literaturkritik nach dem Motto "O Gott, ist dieses durchgeknallte Kind nicht herrlich kaputt und zornig?" erst mal in die virtuose Sprache verliebt hat.

Und man fragt weiter: Was um Himmels willen läuft in dieser Gesellschaft falsch, wenn eine, der aus dem Umfeld ihrer Familie so viele Möglichkeiten offenstehen, sich derart offensiv in der Verherrlichung von Abhängen und Rumkotzen weidet? Wenn die Idee von Liebe und Geborgenheit bestenfalls als schleierhafte Sehnsucht in dünnhäutige Momente ihres Buches hineinweht?

Helene Hegemann schreibt über Lebensaussichten und -perspektiven von Teilen ihrer eigenen Generation. Und ihr Text wirft unweigerlich die Frage auf: Wo in unserer Gesellschaft fühlen sich die angekommen, deren Standort so aussichtslos beschrieben wird?

Darüber aber wird in den Debatten zum Buch kaum ernsthaft diskutiert. Ob es daran liegt, dass Helene Hegemann den garstigen Gestus des Buchs und die Kaputtheit allzu geläufig inszeniert? Dass sie sich seit Wochen übercool und revoltefrei ins Räderwerk der Buch-PR und des Medienhypes einfügt? Wobei das aktuelle Gerede über Plagiat oder Sampling ja nur eine weitere Ablenkung vom eigentlichen Inhalt ihres Buches ist.

Man wünscht der jungen Autorin, anders und inhaltlicher wahrgenommen zu werden. Man wünscht ihr, dass das Anliegen des Buches nicht in bloßer Aufregung über seine asoziale Attitüde oder den laxen Umgang mit Fragen des geistigen Eigentums erkalten möchte. Erst wenn das gelänge, hätte ihre starke Provokation doch noch ins Schwarze getroffen.