Der amerikanische Country-Sänger eroberte mit seinen “American Recordings“ - Liedern über Schuld und Sühne - die MTV-Generation.

Hamburg. "Ain't no grave can hold my body down" - Es gibt kein Grab, das meinen Körper festhalten kann - singt Johnny Cash. "Ain't No Grave" heißt das sechste Album seiner "American Recordings", und mit diesem Traditional beginnt das definitiv letzte Album mit Aufnahmen des legendären Countrysängers. Diese Nummer klingt wie ein Schnippchen, das der "Man In Black" Tod und Teufel geschlagen hat. Johnny Cash erlag am 12. September 2003 einem schweren Nervenleiden, doch auch nach seinem Tod werden immer noch Songs von ihm veröffentlicht, so als wollte er der Welt bedeuten: "Seht her, ich lebe ewig weiter."

In Wirklichkeit ist diese postmortale Flut natürlich der Veröffentlichungspraxis seiner Plattenfirma American zu verdanken, aber auch der unermüdlichen und anstrengenden Studioarbeit, der Cash sich bis zu seinem Tod unterworfen hat.

Johnny Cash starb als Ikone der populären Musik, doch seine Karriere war von Höhen und Tiefen gezeichnet. Cash machte seine ersten Aufnahmen Mitte der 50er-Jahre in den Sun-Studios von Sam Phillips, in denen auch Elvis Presley aufnahm. Ende der 60er-Jahre war er zum Superstar des Country & Western aufgestiegen. Der Song "A Boy Named Sue" schaffte es auf Platz eins der Single-Charts, ebenso das Album "Johnny Cash At San Quentin". Sowohl die Aufnahme im Knast von San Quentin als auch das vorangegangene "At Folsom Prison" zeigten den Sänger als Künstler, der sich für die Unterprivilegierten einsetzte und ihnen eine Stimme gab. Cash war ein Rebell, der oft mit seiner Meinung aneckte, und ein Sympathisant jener "Outlaws", die in den USA seit jeher verehrt wurden. Mitte der 80er-Jahre war es mit der Herrlichkeit vorbei. Columbia Records feuerte Cash sang- und klanglos, und er tingelte durch die Vereinigten Staaten von Auftritt zu Auftritt, allerdings ohne eine vernünftige Platte herauszubringen.

Und dann tauchte Rick Rubin auf.

Rubin war ein bärtiger, langhaariger Typ, der Metal- und Hip-Hop-Bands wie die Beastie Boys, Slayer und die Red Hot Chili Peppers produziert hatte. "Ich dachte darüber nach, wer wirklich großartig ist, aber keine großartigen Platten macht", erzählt Rick Rubin, "und als Erstes fiel mir Johnny Cash ein. Ich traf ihn dann 1993 bei einem Dinner-Konzert in Orange County und bot ihm an, ihn auf meinem Label zu produzieren. Von der ersten Begegnung an herrschte eine Verbindung zwischen uns. Er willigte ein." Rick Rubin, 31 Jahre jünger als der 1932 in Arkansas als Sohn eines Baumwollfarmers geborene Cash, interessierte sich vor allem für die dunkle Seite des meistens schwarz gekleideten "Man in Black". Cash hatte in den 60er-Jahre eine Phase exzessiven Tablettenmissbrauchs. Er schluckte Unmengen von Amphetaminen, bekämpfte das durch die Drogen ausgelöste Zittern mit Barbituraten und die trockene Kehle mit Alkohol. Bei einer Größe von 1,87 Metenr wog er damals nur noch 70 Kilogramm. Ein Wrack, dass sich hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckte. 1967 therapierte Cash sich dann, indem er sich 30 Tage lang in einem Zimmer seines Hauses einschloss und mithilfe eines Arztes einen kalten Entzug durchzog.

Cash wusste, was Leiden bedeutet und wie sich schlimme Schmerzen anfühlen. Rubin wählte Songs für ihn aus, die aus der grenzenlosen Welt des Rock und Pop stammten. Nummern, die von Grunge-Bands wie Soundgarden oder Hardcore-Electro-Combos wie Nine Inch Nails geschrieben wurden; bekannte Songs aus dem Werk von Nick Cave, Leonard Cohen, Neil Young, Bob Dylan, Neil Diamond und U2. Mit seinem sonoren Bariton interpretierte Cash diese Lieder völlig neu und begleitete sich dazu auf der akustischen Gitarre. So pur hatte dieser bedeutende amerikanische Sänger zuletzt 1955 bei den Sun Sessions in Memphis geklungen. Cash sang Mörderballaden und Gospels, er sinnierte über den Tod, über Verrat und Verlust. Mit diesen schmucklosen Liedern zwischen Sünde und Sühne erschloss er sich das Publikum der MTV-Generation, das mit Country nichts am Hut hatte, aber viele der gecoverten Songs kannte und von deren düsteren Interpretationen begeistert war. Die Zusammenarbeit mit Rubin war äußerst fruchtbar. Die Alben verkauften sich gut, und Cash errang zum Ende seiner Karriere noch einmal fünf Grammys. Doch seine Gesundheit spielte in dieser kreativen Schaffensphase nicht mehr mit. Bereits nach "American Recordings IV: The Man Comes Around", das im November 2002 veröffentlicht wurde, war Cash zu Rubin gegangen und hatte ihn gebeten, noch möglichst viele Lieder von ihm aufzunehmen. Cash, der bereits 1997 an einem Nervenleiden erkrankt war, spürte, dass seine Zeit auf Erden ablief.

"Johnny sagte, dass die Aufnahmen der Hauptgrund waren, warum er überhaupt noch am Leben war. Ich glaube, dass er einzig und allein für die Musik weitergelebt hat", sagte Rubin. Jeden Tag standen ein Toningenieur und ein Gitarrist bereit, um zusammen mit Cash in seinem "Blockhüttenstudio" gegenüber seinem Wohnhaus in Henderson/Tennessee Songs aufzunehmen, wenn sein Gesundheitszustand das zuließ.

"Ain't No Grave" ist die letzte Veröffentlichung gewesen, die Rubin und Cashs Sohn John Carter herausbringen konnten, denn das Material ist aufgebraucht. Die meisten der Songs aus den letzten Sessions sind bereits auf dem Fünf-CD-Album "Unearthed" (erschienen 2003) und auf "American Recordings V: A Hundred Highways" (2007) erschienen. Doch auch "Ain't No Grave" enthält noch ein paar unter die Haut gehende Nummern wie das von Sheryl Crow geschriebene "Redemption Day" oder "For The Good Times" von Kris Kristofferson.

Mit Optimismus singt Cash hier gegen Tod und Depression an, es ist auch ein ergreifendes Liebeslied für seine Frau June, die während dieser Sessions an den Folgen einer Herzklappenoperation gestorben war; Johnny überlebte sie vier Monate.

"Ain't No Grave" endet mit einem der bekanntesten Abschiedslieder der Welt. Johnny Cash singt das hawaiianische "Aloha Oe". Ein schöner Ausklang der "American Recordings", denn mehr letzte Aufnahmen wird es nicht geben.