Er schreibt über komplexe Fragen - aber so, dass es auch Jugendliche verstehen können. Jetzt ergründet er die Rätsel von Liebe und Glauben.

Hamburg. Er ist einer der großen Stars der norwegischen Literatur, dabei sind die zurzeit eher dünn gesät. Wer den Namen Jostein Gaarder hört, denkt womöglich zuerst an sein erfolgreichstes Buch. 1993 hatte er mit "Sofies Welt" weltweiten Erfolg. Die unterhaltsame Philosophiegeschichte wurde in 54 Sprachen übersetzt, verfilmt und sogar als Musical aufgeführt. Ruhm und Reichtum haben den Autor aber weder abgehoben noch träge gemacht. Es liegt Gaarder einfach, komplexe Fragen mit Tiefgang unterhaltsam aufzuarbeiten.

Das zeigt er auch in seinem neuen Buch. In "Die Frau mit dem roten Tuch" geht es um das Verhältnis von Glauben, Wissenschaft und Liebe. Auch wenn er bestreitet, autobiografisch gefärbte Geschichten zu erzählen, zeigt sich, dass seine Bücher viel mit eigenen Erfahrungen zu tun haben.

Wer sich den Autor philosophisch angehauchter Fiktion als durchgeistigtes, abgehobenes Wesen vorstellt, für den ist Jostein Gaarder eine angenehme Enttäuschung. Trotz seiner 57 Jahre und seines Vollbarts ist er eine beinahe jungenhafte Erscheinung. Knuffig, lebensklug und nahbar geht der Norweger ins Gespräch. Er lacht auch mal über sich selbst und ist ausgesprochen unkompliziert, wenn es darum geht, das Gespräch an einem anderen Tag fortzusetzen. Er spricht nordisch eingefärbtes Englisch, stellt aber immer wieder Fragen nach den entsprechende deutschen Begriffen.

"Die Frau mit dem roten Tuch" erzählt eine ungewöhnliche Beziehungsgeschichte. Steinn und Solrun treffen sich zufällig in einem Hotel wieder, in dem sie vor 30 Jahren schon gewohnt hatten. Damals waren sie ineinander verliebt, jetzt sind sie längst mit anderen Partnern verheiratet. Als sie wieder zu Hause sind, beginnen sie ohne Wissen ihrer Ehepartner einen E-Mail-Austausch. Dabei stellen sie fest: Sie haben über viele wichtige Dinge unterschiedliche Ansichten, aber sie mögen sich immer noch.

Gaarders Protagonisten könnten gegensätzlicher kaum sein. Steinn ist ein rationaler Skeptiker, während seine Ex Solrun übernatürlichen Erfahrungen durchaus aufgeschlossen gegenübersteht. Mit ihren Ideen finden sie lange keinen gemeinsamen Nenner - aber es gibt ja auch noch Gefühle - und die verbinden. "Eigentlich wollte ich ein Buch über die verschiedenen Erscheinungsformen von Glauben schreiben", sagt Gaarder. "Aber als ich Solrun zum Leben erweckte, wurde daraus eine Geschichte über zwei verschiedene Arten zu denken und die Welt zu sehen." Also lässt er unterschiedliche Anschauungen aufeinanderprallen, manchmal etwas didaktisch, aber durchaus charmant. Gemeinsam ist Steinn und Solrun eine gewisse Ratlosigkeit. "Sie empfinden die Welt zwar als ein Geheimnis, aber es gibt nichts, woran sie glauben könnten."

Wie geht es damit dem Autor? Zunächst wehrt der 57-Jährige ab. "Die Protagonisten haben zwar mein Alter, aber dies ist kein autobiografisches Buch." Dieses Argument geht dann doch bald über Bord. So geht er im Text wiederholt auf René Magrittes surrealistisches Bild "Das Schloss in den Pyrenäen" ein. So wie das Bild heißt auch das Buch in der Originalfassung. Er mag das Gemälde schon lange. "Als meine Frau und ich so um die 20 Jahre alt waren, haben wir es uns als Poster gekauft und in unser Schlafzimmer gehängt." Nicht autobiografisch?

Wie sein Held ringt auch Gaarder ständig um seine Einstellung zum Glauben. Wie Steinn ist er Skeptiker. "Für mich gibt es keine Offenbarung. Ich kann nicht an die Wiederauferstehung Christi glauben. Dabei bin ich Christ, Mitglied der lutherischen Kirche, und will es auch bleiben." Kurz vor Weihnachten hat er sich deshalb der Diskussion mit 20 Pastoren gestellt. Gesprächsstoff gab es genug. So glaubt er, dass sowohl die Bibel als auch der Koran von Menschen geschrieben wurden. "Damit will ich sie aber nicht reduzieren. Sie stecken voller göttlicher Weisheiten."

Widersprüche scheinen Gaarder magnetisch anzuziehen, und so sagt er beinahe trotzig: "Ich bin aber auch ein Agnostiker."

Und ein Förderer. Er setzt seine Bekanntheit nicht nur in eigener Sache ein. Im vergangenen November kam er nach Lübeck zu den Nordischen Filmtagen, um "Das Orangenmädchen" vorzustellen, einen Film, der auf seinem gleichnamigen Roman basiert. Sein Verhältnis zu Romanverfilmungen erklärt der mehrfache Vater und Großvater pädagogisch: "Wenn man Kinder hat, hofft man natürlich, dass sie sich gut benehmen. Meine Kinder sind in diesem Fall die Bücher. Die Filme sind die Kinder von anderen Leuten."

Aber Gaarder hatte auch selbst ein Schlüsselerlebnis im Kino. Er war zwölf Jahre alt und sah sich in Oslo Charlie Chaplins "Limelight" an, bis heute sein Lieblingsfilm. "Das Thema Kunst und der tragische Aspekt des Lebens darin haben mich sehr beeindruckt. Die Musik war so schön und auch die Hauptdarstellerin Claire Bloom. Ich habe mich damals in sie verliebt."

Dieser Film ließ ihn nicht mehr los und war für ihn mehr als nur Unterhaltung. "Danach wusste ich, ich bin Teil eines Geheimnisses, und die Welt ist rätselhaft. Gleichzeitig erkannte ich, dass das Leben kurz ist."

Gaarders Werke findet man im Buchhandel häufig in der Abteilung für Jugendliteratur. Der Autor hat keine Scheu, seine jungen Helden mit dem Tod zu konfrontieren. "Sonst kann man die eigene Existenz gar nicht begreifen", ist er überzeugt. Auch hier kann er auf Erfahrungen zurückgreifen. "Mein Bruder und meine Mutter sind gestorben. Vor vielen Jahren war mein Arzt mal über meinen Gesundheitszustand alarmiert und ich musste viele Bluttests machen lassen. Es war aber nichts Ernstes. Damals habe ich darüber nachgedacht, dass ich als junger Mann sterben könnte. Ich habe allein einen sehr langen Waldspaziergang gemacht." Trost hat er dabei auf pantheistische Art gefunden. "Ich bin nicht nur mein Körper, sondern ein Teil der Natur." So erklärt sich auch Gaarders Engagement für den Naturschutz. Er engagiert sich für Biodiversität und hat eine Stiftung gegründet - Sofies Stiftung - die jedes Jahr einen mit 100 000 Dollar dotierten Umweltpreis vergibt. Kein Wunder, dass er auch aus diesem Thema Buchpläne schnitzt.

"Ich würde gern einen ganz großen Klima-Umwelt-Roman schreiben." Aber er weiß nicht, wie er es anpacken soll: "Man wird so schnell politisch korrekt oder gar moralisch. Andererseits wirkt alles, was etwas dekadent oder menschenverachtend klingt oder schwarzen Humor hätte, nicht mehr kunstvoll."

Die Probleme machen den Fan von Manchester United kämpferisch: "Ich werde nicht aufgeben. Es muss ein guter Roman werden."