Hamburger Abendblatt:

Herr Brauner, waren Sie auf jeder Berlinale, auch auf der ersten 1951? Was war das damals für ein Fest?

Artur Brauner:

In den ersten Jahren war ich ohne Unterbrechung auf der Berlinale präsent. Die ersten Festspiele waren bescheiden. Es gab ja noch seitens des Senats keine ausreichende finanzielle Unterstützung, und es war auch nicht eindeutig, ob die Berlinale als Institution überlebensfähig sein wird.

Abendblatt:

Welche Erinnerungen haben Sie an die Filmfeste der 50er-Jahre? Was war das Tollste?

Brauner:

In den 50er-Jahren haben wir gleichzeitig die Filme "Mädchen in Uniform" mit Romy Schneider und Lilli Palmer und "Es geschah am helllichten Tage" mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe gedreht. Ich lud die Hauptdarsteller in ein kleines, exquisites Restaurant ein. Unvergesslich ist für mich der Tanz von Heinz Rühmann mit Romy Schneider - Romy war 18 und Rühmann etwa 50 Jahre alt -; als es weit nach Mitternacht war, schlug Rühmann Romy vor, sie ins Hotel zu bringen. Romy wollte jedoch ausschließlich mit mir und meiner Frau ins Hotel fahren. Sie bat meine Frau um Rat. Und meine kluge Maria hat ihr vorgeschlagen, Kopfschmerzen nach dem vielen Wein vorzutäuschen. Romy spielte die Kranke großartig und wurde von Rühmann bemitleidet. Die Fahrt ins Hotel mit mir und meiner Frau wurde von ihm verständnisvoll aufgenommen. Aber solch einen tanzenden und ausgelassenen Heinz Rühmann habe ich weder davor noch danach je wieder erleben können.

Abendblatt:

Welche Gäste haben Sie besonders beeindruckt - durch Originalität oder durch unpassendes Verhalten?

Brauner:

Als ich Curd Jürgens nach der Premiere von "Die Ratten" in das seinerzeit äußerst sympathische russische Lokal Mazurka mit anderen Gästen der Berlinale einlud, wurde auf den Tischen getanzt - nach ausreichendem Champagner und Wodka. In absoluter Erinnerung jedoch habe ich den amerikanischen Star Gary Cooper, der mir das Leben gerettet hat. Zweimal war er Gast bei uns zu Hause mit Frau und Tochter und einmal mit Frau und Schwiegermutter.

Abendblatt:

Was war der Unterschied zwischen Filmstars damals und Filmstars heute?

Brauner:

Als wir in Berlin in den 60er-Jahren "Dschingis Khan" mit Omar Sharif in der Hauptrolle drehten, habe ich ihn einmal in das kleine, exquisite Lokal Troika am Wittenbergplatz mitgenommen. Die russische Musik und Küche haben auf ihn starken Eindruck gemacht. Er hat auch allein eine Art Kosakentanz kreiert und sich bis zum frühen Morgen amüsiert. Von da an ging er jeden Abend dorthin. Dass heute noch die Filmstars bis drei oder vier Uhr morgens ausgehen und am nächsten Tag ab acht vor der Kamera stehen, glaube ich nicht.

Abendblatt:

Gab es Unterschiede zwischen den Jahrzehnten?

Brauner:

Zwischen 1951-1967 stieg sowohl die Popularität als auch die Qualität der Berlinale ununterbrochen. Auch die Kleidung wurde immer festlicher, Smoking und lange, teure Kleider wurden immer prunkvoller. Von 1968 bis circa 1980/85 litt die Qualität rapide. Die Vergabe der Preise wurde von den Ausgezeichneten beinahe ausschließlich in Jeans und Alltagskleidung besucht. Filme, die im Atelier gedreht wurden, große und teure Filme, wurden verpönt und aus der geplanten Produktion zurückgenommen. Die 68er-Revolution hinterließ Spuren, auch bei der Berlinale. Und die Feierlichkeiten, die hier gegenwärtig exerziert werden, sind nicht zu übertreffen. Von manchen Schauspielern vernahm ich, dass ihnen sogar das Berliner Festival besser gefällt als Cannes oder Venedig.

Abendblatt:

Worauf freuen Sie sich heute, wenn Sie an die Berlinale denken?

Brauner:

Auf die stärkere Beteiligung von Stars und großen, wichtigen Schauspielern aus aller Welt. Dies gilt auch für die deutschen Spitzendarsteller.

Abendblatt:

Haben Sie mit Stars während des Festivals unvergessliche Momente erlebt?

Brauner:

In Erinnerung blieb bei mir die Szene, als ich Gina Lollobrigida und Vittorio de Sica einlud und er natürlich den Schuh von ihr nahm und aus diesem den Champagner trank. Unvergesslich ist auch der Rausschmiss von Cary Grant durch unsere Haushälterin. Zu einem Dinner bei uns sollte er aus Paris anreisen, kam und kam nicht. Als er erst um halb zwei Uhr mithilfe einer amerikanischen Millitärmaschine nachts bei uns eintraf, meine Frau und ich gerade die anderen Gäste wie Maria Schell und Lilli Palmer zurück ins Hotel brachten, ließ ihn unsere Haushälterin nicht rein. Dabei war Cary Grant sehr hungrig. Später sagte er, dass es ihm zum ersten Mal passiert sei, dass ihm eine Frau den Eintritt in ein Haus verweigerte.

Abendblatt:

Sie sollen wirklich tolle Feste veranstaltet haben.

Brauner:

Auch hier ein unvergessliches Ereignis. Meine CCC-Film war in den 50er- und 60er-Jahren führend in Berlin, und so haben wir auch die Filmbälle führend repräsentiert und die wichtigsten Gäste eingeladen. Natürlich durfte Lollobrigida, der damalige europäische Superstar, nicht fehlen. Bei der Begrüßung der Gäste fiel mir mein Berufskollege Mainz auf, der mit einer großen, roten, aufgedonnerten weiblichen Person erschien. Von Wuchs klein, reichte er ihr bis zum Busen, und dieser war nicht versteckt. Er nannte bei der Vorstellung einen Namen, der noch komplizierter war als der von Gina. Ich wies ihm den Platz zu, als die Dame plötzlich vor der Lollobrigida stehen blieb, mit dem Wort "Ciao" sich neben diese stellte, sich an den Tisch anlehnte und sich mit ihr fotografieren ließ und das gemeinsam mit meinem Bruder, der als Nachbar von Gina saß. Wir befürchteten, dass die Lollo den Raum verlassen wird. Ich bat Curd Jürgens, mit der Lollo ein Gespräch anzuknüpfen. Es stellte sich dann heraus, dass die rote, vollbusige Person Sophia Loren (zu der Zeit firmierte sie noch unter ihrem bürgerlichen Namen) war. Sie hatte gerade als Konkurrentin von Lollo den zweiten Teil von de Sicas Film "Liebe, Brot und Phantasie" übernommen, nachdem Lollo ihn abgelehnt hatte.

Abendblatt:

Sind die Schauspieler heute zu abgeschirmt, würden die noch auf Privatpartys kommen?

Brauner:

Ich würde meinen, dass Schauspieler sich nicht ändern! Um einen Schauspieler von einer bestimmten Qualität zu analysieren, wird wahrscheinlich ohne Ausnahme festgestellt werden können, dass das Ego des Schauspielers die Hauptrolle spielt. Denn für einen normalen Menschen ist es schwer, in die Haut eines anderen Menschen zu schlüpfen.

Abendblatt:

Was war das Aufregendste, das Sie in 60 Jahren Berlinale erlebt haben, filmisch und persönlich?

Brauner:

Dass mir in den letzten Jahren gelegentlich eine Ablehnung ausgesprochen wurde, hat bei mir natürlich oft für Aufregung gesorgt. Ebenso die Ablehnung des Gremiums von "Hitlerjunge Salomon"- obwohl der Film mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde und auch noch den Oscar bekommen sollte -, als dieses Gremium wiederholt die Unterschrift unter der Applikation sabotiert hat, die notwendig war, um den Film seitens der Oscar-Kommission in den Wettbewerb aufzunehmen.