Er schrieb nur einen Roman und zugleich eines der wichtigsten Bücher des 20. Jahrhunderts. Sein Held Holden Caulfield gilt als moderner Werther.

Viele Leser hatten auf einen letzten Roman gehofft, viele Journalisten immer wieder auf ein letztes Interview spekuliert. Beides hat er nicht gewährt. J. D. Salinger, Autor des Weltbestsellers "Der Fänger im Roggen" ist mit 91 Jahren gestorben, wie er seit seinem Jahrhunderterfolg gelebt hat: bis zum Schluss konsequent außerhalb jeder Öffentlichkeit.

Seit 1965 hat er kein Buch mehr publiziert, sein letztes Interview gab er im Jahr 1980. In einem Porträt zu seinem 90. Geburtstag bemerkte der "Tagesspiegel" lakonisch: "Salinger lebt seit 1953 im Schrank." Mit ihm ist es wie mit vielen, die große Kunst, erst recht aber große Literatur geschaffen haben: In ihren Figuren, in ihren Geschichten bleiben sie immer ein Stück weit unsterblich. Als zuletzt Helene Hegemanns Debüt "Axolotl Roadkill" furios besprochen wurde, ist auch sein Werk immer wieder zum Vergleich herangezogen worden: "Der Fänger im Roggen" ist einer der Coming-of-Age-Romane, der erste "Werther" einer moderneren Konsumgesellschaft. Holden Caulfield, jener 16-Jährige, der im Erwachsenwerden die ganze Welt "phony" findet, wurde zu einer der prominentesten und prägendsten Figuren der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die Auflage wurde zuletzt auf 25 Millionen Exemplare geschätzt, Raubkopien nicht mitgerechnet. Selbst in Japan und China hatte Holden Caulfield seine Fans, ins Deutsche wurde der Roman erst 2003 noch einmal neu übersetzt.

Der verantwortliche Autor jedoch galt - neben Thomas Pynchon - als geheimnisumwittertster Schriftsteller der Welt. Bereits kurz nach Erscheinen des Romans 1951 zog sich Jerome David Salinger, geboren am Neujahrstag des Jahres 1919, in ein abgeschiedenes Anwesen in den Wäldern New Hampshires zurück. Seine letzte Erzählung erschien 1965. Mit einem (so seltenen wie überraschenden) Telefoninterview von 1974 bestätigte er der "New York Times", er lebe noch und er schreibe auch noch, jedoch nicht mehr für die Öffentlichkeit. Worin "ein wunderbarer Frieden" liege.

Und so war es. Ganze sechzehn Seiten pro Tag schreibe er, wurde kolportiert, indes: Niemand las mehr von Salinger, dem Eigenbrötler, der sich, so heißt es, zu Hause von seiner dritten Ehefrau pflegen ließ. Eine angekündigte Neuveröffentlichung des schon 1965 im "New Yorker" erschienenen Textes "Hapworth 16, 1924" war zwar 1998 plötzlich angekündigt, dann aber doch zurückgezogen worden. Vor einem halben Jahr klagte er gegen einen Autor, der einen Folgeroman des "Catcher in the Rye" verkaufen wollte, in dem Antiheld Holden aus einem Altenheim ausbüxt.

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" begab sich im September auf Salingers Spuren - allerdings nicht in amerikanischen Wäldern, sondern in Bayern, wo der Autor einige Zeit gelebt hat: 1946, in Gunzenhausen, als "Special Inspector" der US-Armee. Als Soldat kam er bereits 1944 nach Deutschland, war im Rheinland und in Bayern an der Front, auch an der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau soll Salinger beteiligt gewesen sein. Im Oktober 1945 heiratete er die deutsche Ärztin Sylvia Welter. Salingers Tochter Margaret hatte in ihrer umstrittenen Biografie über den Vater behauptet, er habe sie als überzeugte Nationalsozialistin bei einem Verhör kennengelernt. Mit dem "Fänger im Roggen", schrieb ein anderer Biograf, habe er schon vor dem Krieg begonnen, ob er auch in Deutschland daran gearbeitet hat, ist jedoch nicht bekannt.

Nun melden die Agenturen nicht nur, er sei eines natürlichen Todes gestorben, sondern auch, dass er zuletzt ein Hüftleiden hatte. Vielleicht eine Information zu viel über jemanden, der selbst so gar nichts von sich preisgeben wollte. Eine andere Frage allerdings wird jetzt nicht nur seine Biografen brennend interessieren: Wenn er tatsächlich so viel geschrieben hat in seiner Einsiedelei in Cornish in New Hampshire: Wie viele unveröffentlichte Buchmanuskripte liegen dann möglicherweise in Salingers Safe?