James Ellroy hat harte Krimi-Meisterwerke geschrieben, sein neuer Roman heißt “Blut will fließen“. Ein Gespräch im Institut für Rechtsmedizin.

"Call me God ..." James Ellroys gespannte Gesichtszüge verschieben sich so, dass es bei anderen gerade noch als Lächeln durchginge. Bei ihm ist es mehr ein kurzes Reflexfletschen ziemlich vieler Zähne.

Ellroy, um die 1,90 hoch, kahl und so cool, wie man mit 62 nur sein kann, mag Bullterrier. Menschen, die er nicht kennt, mag er eher selten. Ellroy kennt nur wenige Menschen, seine Sozialkompetenz sei wohl nicht so toll. Für rothaarige Frauen nimmt er aber gern mal eine Pause vom Eremitendasein. Die meiste Zeit verbringt er im Dunkeln. Denkend. Brütend. Danach wird geschrieben. Per Hand. Ellroy hat weder Computer noch Handy. Keinen Fernseher. Kein Lärm, kein hohles Geschwätz. Er geht nicht ins Kino, hält sich von Kultur fern und auch von Restaurants, in denen es Fernseher gibt. Keine Ablenkung - außer, es gibt in Los Angeles einen Klavier-Abend, der ihn interessiert. Reisen interessiert ihn nicht, er will die wirkliche Welt nicht sehen, weil er eine eigene in seinem Kopf hat. Da kann er Geschichte neu erfinden, wie er es will. "Ich mag keine Außenreize." Aufsehen tut er, wenn überhaupt, dann nur zu Beethoven, vor allem wegen der späten Klaviersonaten. Und zu Bruckner. Wegen der Symphonien, die ihn umhauen.

Deswegen: Die drei ersten Worte im ausverkauften Literaturhaus waren spaßig gemeint. Aber keinesfalls ein Witz. Die Show begann. Claudius Seidl - Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und hier aber so aufgeregt wie ein Schuljunge, der gleich mit Gedichtaufsagen dran ist - hatte gerade gefragt, wie er den heißen Riesen neben sich anreden soll. Der lehnt sich zurück und genießt, was jetzt kommt. Ein Amoklauf, entlang an knapp 800 Seiten wütender, harter, zynischer Literatur (s. unten).

Ellroys Bücher sind wie ein Tritt in die Weichteile. Mit Anlauf. Er schreibt, wie er spricht, und sagt, was er denkt. Nebensätze sind was für Mädchen. Und dazu dieser Blick, der kühl fragt, warum sollte ich mich mit dir abgeben, wenn ich die Zeit mit mir viel besser verbringen könnte? "Alles, was ich tue, muss einen Sinn haben."

1958, als Ellroy zehn war, wurde seine Mutter ermordet. Das hat ihn, den Überlebenden, für den Rest seines Lebens verwundet. Ein Porträt brachte Jahrzehnte später das gallig-böse Wortspiel "Oedipus Wreck". Ellroy versank in Kleinkriminalität und Drogen, wanderte mehrfach in den Knast. Sein literarisches Debüt erlebte er mit 30. Hollywood verfilmte später seine Cop-Knaller "L.A. Confidential" und "Die schwarze Dahlie". Bis zum sechsten Buch verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Golf-Caddy. Jetzt ist er ein Star, weltweit gelesen."Blut will fließen" ist in Frankreich gerade in die Bestseller-Listen geschossen.

Am Tag nach der Lesung findet das erste Beschnuppern in einem Hotel in der City statt, danach geht es mit dem Taxi Richtung UKE. In die Rechtsmedizin. Wenn schon, denn schon. In einem dankenswerterweise gut aufgeräumten Sezierraum knirscht Ellroy dem Fotografen, der dort schon wartet, entgegen, er habe genau sieben Minuten. Und die Uhr habe gerade begonnen zu ticken. Die Temperatur im Raum sinkt noch weiter. Als wir uns etwa sechs Minuten später in die Bibliothek begeben und Institutsleiter Klaus Püschel seine Hilfe anbietet, falls er mal Fachfragen haben sollte, kommt von Ellroy nur ein: "I'll find you." Ich finde Sie schon.

Harmloses Geplänkel? No way. Sein Antrieb fürs Schreiben beispielsweise - Einsamkeit oder die Sehnsucht nach Liebe? "Der Drang, ernst genommen zu werden und von ganz bestimmten Frauen geliebt zu werden." Das nächste Schwergewichts-Stichwort: Moral. "Meine Bücher sind Dokumente der Moral, weil meine Charaktere für ihre Taten teuer bezahlen." Auf die Frage, ob er ohne das manische Schreiben ein besserer Mensch geworden wäre, entgegnet Ellroy, wie bei jeder Frage ohne den Hauch eines Zögerns: "Ich denke niemals hypothetisch. Das bringt nichts. Ich weiß, was ich weiß. Und dem, was ich nicht weiß, nähere ich mich nicht. Wenn mich etwas nicht von A nach B bringt, mache ich es nicht. Ich bin so unerbittlich."

Ellroys nächstes Buch ist schon fertig. Die eigene Biografie mit dem verflucht passenden Titel "The Hilliker Curse". Hilliker war der Mädchenname seiner Mutter. Die nächsten vier Bücher sind schon angedacht. Nachdem die "Underworld USA"-Trilogie in den 60ern begann und in den frühen 70ern endet, will er nun weiter zurück in die Vergangenheit.

Wann ist er glücklich? "Während des Schreibens und danach, wenn ich mit der Frau zusammen bin, die ich liebe. Und wenn ich allein im Dunkeln bin." Ist Schreiben gut für sein Ego? "Ja." Und was wäre er ohne seinen Glauben an Gott? "Nichts."

Bei der Lesung am Vorabend hatte Ellroy es mit seiner Performance am Mikrofon geschafft, einen so präsenten Schauspieler und Sprecher wie Matthias Brandt komplett einzuschüchtern und zum großartigen Aufsager zu degradieren. "Diese Art von Show ist sehr einfach für mich. Ich führe ein ruhiges, kontemplatives Leben. Aber dann werde ich von der Kette gelassen, um aufzutreten. Und das mache ich sehr, sehr gut. Ich genieße diese Öffentlichkeit."

Vorbild und Maßstab für "Blut will fließen" war Don DeLillos "Sieben Sekunden", in dem es - ebenfalls sehr fiktiv ausgelegt - um den Mord an John F. Kennedy geht. Dem Schriftstellerkollegen ist Ellroy einmal zufällig in Amsterdam begegnet. "Ein sehr reservierter Mensch. Sehr anstrengend, das Gespräch." Vielleicht, weil gute Schriftsteller im Schreiben besser sind als im Reden? "Stimmt."

Haben Sie in den vergangenen Jahrzehnten literarisch das erreicht, was Sie erhofft hatten? "Viel mehr, als ich gedacht hatte. Und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Ich habe einen Auftrag von Gott, noch fünf weitere Bücher zu schreiben."

In seinem Leben gäbe es nur wenige unnötige Menschen, sagt Ellroy, seelenruhig. Danach kommt eine weitere von vielen nicht wirklich angenehmen Pausen. Ein weiterer von vielen abgrundtief bohrenden Blicken. "Stimmt schon, ich kann ungewöhnlich unverblümt sein. Aber ich kann auch gutmütig sein, vor allem in der Gesellschaft von Frauen. Ich lebe ein sehr intensiv nach innen gerichtetes Leben. Wie mein Held Beethoven." Dessen titanenhafte Ansage, er wolle "dem Schicksal in den Rachen greifen", ist ein Zitat, mit dem "The Hilliker Curse" beginnt. Die letzte Frage, an einem Ort, nach diesem Dialog wohl unausweichlich: "Was ist Ihnen lieber, das Leben oder der Tod?" - "Das Leben!"