James Ellroy ist kein Autor, der sich damit begnügt, nur einen Körper literarisch zu sezieren. Er nimmt sich gleich eine ganze Nation vor. Ellroys Underworld-Trilogie, deren Story sich von 1958 über die Ermordung John F. Kennedys bis hinein in die 70er-Jahre spannt, ist eine mit dem literarischen Skalpell geschriebene Obduktion US-amerikanischer Befindlichkeiten jener Epoche.

"Blut will fließen" ist nach "Ein amerikanischer Thriller" und "Ein amerikanischer Albtraum" der letzte Teil der Trilogie. Vier Jahre, von 1968 bis kurz vor dem Watergate-Skandal 1972, umfasst die Geschichte. In ihrem Fokus steht der Wahlkampf zwischen Richard Nixon und Hubert Humphrey. Ein schmutziges Duell, befördert, ganz im Sinne Nixons, von den kalten Strategen der Macht: FBI-Chef J. Edgar Hoover und Milliardär Howard Hughes.

Ellroy führt seine Geschichte von dem brutalen Überfall auf einen Geldtransporter tief hinein in einen moralischen Morast aus Politik, Geheimdienst und Polizei. Er lässt ein ganzes Bataillon deformierter Charaktere auftreten: korrupte Bullen, intrigante Geheimdienstler, psychopathische Kleinkriminelle, rassistische Politprediger, den drogensüchtigen Mr. Hoover. Mit ihnen erzählt Ellroy seinen in diverse Handlungsstränge unterteilten Abgesang auf den amerikanischen Way of Life. Aus dem Traum ist längst ein Albtraum geworden: Allein um Macht, Einfluss und Geld geht es; Gier, Sex und Gewalt sind die Mittel.

Ellroy erzählt atemlos (wie sich am Ende zeigt, aus der Perspektive eines kleinen Privatdetektivs), in kurzen, harten Sätzen, manchmal im Stakkato, treibend und nervös, fast kommt er ohne Nebensätze aus. Wie wütend hingeschleudert wirkt manches, doch bei aller Wucht ist es buchstabengenau komponiert.

Schön, freundlich, hoffnungsstrebend ist bei Ellroy nichts. Nachtschwarz alles. Und doch: In wenigen Sequenzen schimmert auch der Wunsch nach Wärme, nach Geborgenheit, nach Heimat durch dieses Dunkel. Auch Agenten haben Gefühle ...

Ellroy dekonstruiert die Welt, zumindest ihren amerikanischen Teil. "Blut will fließen" ist ein 783 Seiten starkes literarisches Geschoss. Im Vergleich zu dem, was James Ellroy schreibt und wie er schreibt, hat andere Kriminalliteratur nicht selten lediglich Prinzessin-Lillifee-Format.

James Ellroy: "Blut will fließen". Deutsch von Stephen Tree, Ullstein, 783 Seiten, 24,90 Euro.