Eine Geschichte des Erwachsenwerdens zwischen überdrehter Finanzwelt und gediegener Blankeneser Gesellschaft.

Hamburg. Lange Zeit konnte man in Hamburg glauben, dass, wer aus Blankenese kam, damit bereits den ersten Karriereschritt getan hatte. Bildungsbürgertum, Traditionen, gewachsene Bekanntschaften, altes Geld, alte Werte. Eine sichere Bank. Aber so wenig wie es heutzutage überhaupt noch sichere Banken zu geben scheint, so wenig nutzt es dem jungen Alexander Oswald, Protagonist in Konstantin Richters Debütroman "Bettermann", dass er Adalbert Stifter wegen dessen Beschreibung des "Menschlichwerdens" liest und den Anwalt Henrik Bettermann, "eine Art Schlüsselfigur" der Hamburger Kulturszene, für seine hanseatisch-soignierten Tugenden bewundert. Sein eigener Vater hadert mit den Kohl-Jahren und wartet allabendlich darauf, dass die Mutter endlich heimkehrt von ihren Ausstellungseröffnungen, Theaterpremieren und Lesungen, nach Hause in die Blankeneser "Datscha". Und der empfindsame Alex? Liest. Hört Mahler. Menschlichwerdung? Eben da liegt das Problem.

Konstantin Richter lenkt den Blick seines Lesers auf eine Generation, der zu viele Türen offen stehen und die auf die eigentlichen Anforderungen eines rasanten, globalisierten Arbeitsmarktes nicht vorbereitet ist. Er erzählt eine Geschichte, deren Titel "Bettermann" nicht nur den Namen ihrer Schlüsselfigur meint, sondern auch mit der Wertung von Lebensentwürfen spielt: Wie definiert man "besser"? Menschlicher? Effektiver? Geschickt verwebt Richter die Coming-of-Age-Geschichte seines Protagonisten mit so genau beobachteten wie mit hübscher Ironie skizzierten Milieuporträts - der gewachsen arroganten Blankeneser Gesellschaft und der überdrehten Frankfurter Finanzwelt, in der sich smarte, naseweiße Besserwisser als Analysten versuchen.

Richter beschreibt eine Generation, die brav in den Geisteswissenschaften nach Orientierung sucht, um nach dem Studium allerdings - wie Romanheld Alex Oswald treffend erkennt - orientierungslos in der finanziellen Bedeutungslosigkeit zu stranden: "Irgendein Zeitungspraktikum wahrscheinlich. Dann ein schlecht bezahltes Volontariat im sympathischen Kleinverlag, das ich schließlich abgebrochen hätte, um zu promovieren. Über ein Thema, das nie behandelt worden ist, weil es keinen interessiert."

Stattdessen bewirbt sich Alex um einen Schreibjob bei der amerikanischen Finanznachrichtenagentur Roebuck, um statt Interpretationen über Stifters Spätwerk Nachrichten über Energieversorger und Snackfabrikanten oder die "Bonität von angeschlagenen Halbleiterherstellern" zu formulieren. Von dem Metier hat er nicht die geringste Ahnung. Aber er kann improvisieren und er spricht fehlerfrei Englisch - als Qualifikation vollkommen ausreichend. Man wundert sich weniger über die Finanzkrise, wenn man über den Wahrheitsgehalt solcher Voraussetzungen nachdenkt. Was man hier übrigens durchaus tun darf, der Autor selbst hat als Journalist für so betörend globalisiert klingende Medien wie die "Cambodia Daily" in Phnom Penh oder das "Wall Street Journal" in Brüssel geschrieben.

Bei Roebuck in "Frank-fucking-furt", wo Alex als einziger Deutscher von den ausschließlich männlichen Kollegen "Deeder" gerufen wird ("Come on, do the Hitler again!"), stößt er auf Fusionsgerüchte um die Anwaltskanzlei Bettermann & Partner, jenem Blankeneser Bettermann, von dem er vor Jahren in seiner jugendlichen Schwärmerei brüsk zurückgewiesen worden war. Alex, den auch mit Bettermanns Kindern Oliver und Anna eine jeweils nicht unkomplizierte Beziehung verbindet, sieht seine Chance, sich zu beweisen - gegenüber der Vergangenheit, gegenüber seinen Idealen und denen seiner Generation. Und gegenüber den Chefs aus New York, die ihn mit dieser hintergründigen Story endlich als Edelfeder im Finanzjournalismus wahrnehmen sollen.

"Bettermann" liefert jene Folklore der Vorfinanzkrisenzeit, die aktuelle Romane wie Adam Hasletts "Union Atlantic" oder Kristof Magnussons "Das war ich nicht" weiterspinnen. Schnörkellos und leichthändig pendelt Konstantin Richter zwischen der ganz persönlichen Lebensgeschichte seines Protagonisten und einer pointierten Analyse der Finanzwelt, zwischen Nachhaltigkeit und rascher Rendite, zwischen Old School und New Economy. Das ist ebenso flott lesbar wie sauber durchdacht und offenbart verblüffende Parallelen der verschiedenen Milieus - wie die jeweils unhinterfragte Überlegenheit der Lebensführung oder die sprachlichen Luftblasen, die sowohl in der ökonomisierten Berufswelt als auch im intellektuellen Umfeld aufsteigen. Ein hellsichtiger Roman, der sich im Wirtschaftsteil ebenso zu Hause fühlen kann wie im Feuilleton.