Das Markenzeichen von Max Raabe sind melancholische Lieder aus den 20er-Jahren, Eleganz und natürlich Humor.

Hamburg. Auf die Frage, ob er einen Lieblingssong aus seinem Repertoire habe, antwortet Max Raabe: "Nein, ich bevorzuge keinen. Ich habe sie ja alle selbst ausgesucht." Aber das Lied, mit dem man den Sänger identifiziert, seine Eigenkomposition "Kein Schwein ruft mich an", das will er schon lange nicht mehr singen. "Ich konnte es irgendwann nicht mehr hören, hab's einfach zu oft vorgetragen", sagt er. Und: "Sie glauben gar nicht, wie oft mir auf der Straße jemand hinterher rennt und mir das Lied vorsingt. Da kommen oft ganz bizarre Tonfolgen."

Seit Raabe 1987 das Palastorchester gründete, mit dem er seitdem auch auf Tournee geht, gibt es allerdings aus dem Publikum immer wieder einen Wunsch: "Mein kleiner grüner Kaktus" muss im Programm sein. Wenn nicht regulär, dann mindestens als Zugabe. "Das ist eine stille Vereinbarung zwischen uns und dem Publikum, dass wir dieses Lied spielen", sagt Raabe, der auf der Bühne für Akkuratesse, Eleganz, Swing und Humor steht. Eine unwiderstehliche Kombination. Mal singt er über Rinderwahn: "Der Mensch isst gerne Tiere auf, da kam die Kuh als erste drauf. Drum nennt sie ihren Racheplan Rinderwahn." Mal besingt er seinen besten Freund, einen Affen: "Mein Gorilla hat 'ne Villa im Zoo / Mein Gorilla Na der Junge ist so / Frau Gorilla die hält still / Wenn er sie mal küssen will / Ja wenn er will ja dann Villa" oder er verkündet lässig: "Ich bin so scharf auf Erika wie Columbus auf Amerika."

Gut 500 Lieder hat Max Raabe (47) im Programm. Alles Stücke aus den 20er- und 30er-Jahren, heiter-melancholische Schlager die für Filme und Tanzorchester geschrieben wurden und den Zweck hatten, Menschen aus ihrer Realität zu holen und zu unterhalten. Texte, die von eher traurigen Themen wie Liebeskummer ("Tabu, Tabu du liebst einen andren als mich, Tabu, Tabu doch ich liebe immer noch dich") und Ehebruch ("In der Bar zum Krokodil"), von Einsamkeit und Verlust handeln und die doch immer eine überraschende Pointe enthalten. "Verlässt du mich, dann klon ich dich", singt er. "Wenn du von mir fort gehst, lass bitte dein Herz bei mir" oder "Seit ich dich einmal geseh'n, ist's um die Ruhe gescheh'n". Nicht schmalzig sondern schön.

Seit gestern nun hat er zu seiner stattlichen Sammlung von mehr als 20 CDs, die er mit dem Palastorchester aufgenommen hat, ein neues Solo-Album hinzugefügt, "Übers Meer", am Klavier begleitet von Christoph Israel. Es sind Stücke, die früher zum "Fünf-Uhr-Tanztee" gespielt wurden. Lieder und Chansons aus der Weimarer Republik, aus der Zeit des weltoffenen, experimentier- und amüsierwilligen Berlin. Wiederum sind Sehnsucht, Liebe und Abschied wichtige Themen von denen Raabe heiter melancholisch singt. Die Texte stammen von jüdischen Künstlern, die alle später aus Deutschland fliehen mussten. Ein Abschied, der quasi musikalisch vorweggenommen war. "Irgendwo auf der Welt" ist dabei, das 1931 erschien und heute noch zu Tränen rühren kann, komische Liebeslieder wie "Sag ich blau, sagt sie grün", "Sag nicht du zu mir" oder "Ich bin ja nur eine Laune von dir". Mit klarem Bariton singt Raabe und mit geradezu naiver Heiterkeit. Immer sieht er aus, wie aus dem Ei gepellt. Natürlich auch beim Interview.

Eines scheint nicht dazu zu passen. Der Sohn westfälischer Bauern, der Anfang der 80er-Jahre nach Berlin ging, um dort Gesang zu studieren, verbrachte seine Studienzeit damit, Hausflure zu putzen und Arbeiten als Hilfsgärtner auszuführen. "Ich habe damals sehr bescheiden in Neukölln gewohnt und musste ja mein Studium finanzieren. Meine Mutter hat immer gesagt: Arbeit schändet nicht." Die Eltern kannten kleine Auftritte von ihm, die er in seiner Schulzeit bei Veranstaltungen hatte. Zum ersten Mal in einem seiner großen Konzert waren sie aber erst 1992. "Zurückhaltend" hätten sie reagiert, "so sind sie immer", sagt Max Raabe. Die erste Reaktion seiner Mutter auf seinen Erfolgsschlager, "Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich", den er im Dritten Programm des NDR Fernsehens vorgestellt hatte, sei gewesen: "Junge, was singst du denn da immer von Schwein und Sau? Oma hat auch schon angerufen. Man muss sich ja schämen."

Seinen Durchbruch kam 1992 mit diesem Lied. "Als ich die ersten beiden Zeilen hatte, war sofort die Melodie da. Es hat mich so verblüfft, dass ich glaubte, ich hätte die Melodie irgendwo geklaut. Hatte ich aber nicht."

Ursprünglich wollte er Opernsänger werden, aber "es hat sich dann anders entwickelt". Und Lampenfieber kenne er nicht, bekennt Max Raabe. Er ist ein ruhiger Typ. Westfale. "Das ist Teil meiner Erziehung, wenn mir Bekannte mal ein Kompliment gemacht haben, hat meine Mutter das relativiert und gesagt: Sie müssten mal sehen, was das für ein ungezogener Lümmel ist".

Genießen allerdings kann er schon. Er kocht zwar "nur" aus Not. Aber bis zu acht Gäste kann ich gut mit einem Menü bewirten." Sport betreibt er auch nur in Maßen.

Moderat, wohlerzogen, bedächtig erscheint Max Raabe und auf die Frage: "Sie sind wohl kein sehr exzessiver Typ?" antwortet er: "Nicht was das Sportliche betrifft." Aha. Wo dann? "Beim Feiern. Ich bin bei jeder Premierenfeier der Letzte, der nach Hause geht. Ich stell noch mit den Putzfrauen die Stühle hoch."

Demnächst wird Max Raabe wieder zu einer USA-Tournee aufbrechen. Dort reißen sie die Zuschauer ebenso zu Begeisterungsstürmen hin wie in Japan. "Natürlich bedienen wir auch die Klischees über Deutschland. Ich bin blond, akkurat. Das Orchester ist präzise, diszipliniert. Aber die Musik ist überall bekannt, aus Filmen, Cartoons, die Zuschauer verstehen sie. Es funktioniert auch über die Schönheit der Melodien, über Orchesterarrangements." Die Abende sind choreografierte Gesamtkunstwerke.

Wenn Raabe von einem seiner jährlich gut 150 Konzerte zurückkehrt, "höre ich erst mal keine Musik mehr. Dann brauche ich Stille", sagt er. Ansonsten hört er gerne Kammermusik, "je weniger Instrumente, desto besser". Das Anstrengendste an den vielen Reisen sind aber eindeutig "die Hotels, in denen es 'Frühstück bis zehn gibt und man sich mit den Kellnern um die letzte Scheibe Käse schlagen muss."

Max Raabe: Solokonzert in der Laeiszhalle am 23. 4.