Gebaut ist sie aus Glasröhren fürs Labor. Sascha R. spielt das seltene Instrument jetzt in der Staatsoper.

Hamburg. Da steht sie auf der Opernbühne, die Heldin, das Messer noch in der Hand. Soeben hat sie ihren Bräutigam erstochen. Die Musik könnte im Kontrast zu dieser grausigen Szene gerade zu harmlos heiter wirken - wäre da nicht dieser seltsame Klang, der die immer neuen, immer höheren Schnörkel der Sopranstimme imitiert, in Terzen begleitet, gebrochene Dreiklänge oder Akkorde daruntersetzt: Entrückt und durchdringend, zart und sirenenhaft folgt er den feinsten Tempoveränderungen der Sängerin; mal strömt er, mal tupft er.

Es dauert ein wenig, bis der Hörer merkt, dass es der breitschultrige Mann zwischen den Bratschen und Posaunen ist, der diesen Klang produziert. Vor sich in einem Holzgestell hat er Pilsstangen und Weingläser, was nicht recht in einen Orchestergraben zu passen scheint. Mit fließenden Bewegungen reibt er die Glasränder; ab und zu taucht er die Finger in ein Glas mit Wasser.

Sascha R. ist einer der ganz wenigen professionellen Glasmusiker. Er wird weltweit gebucht. Mit den Berliner Philharmonikern ist er aufgetreten, bei den Salzburger Festspielen und am Royal Opera House in London - und er baut seine Instrumente selbst. Das Verrofon hat er selbst entwickelt. Natürlich sind es keine Biergläser, die da klingen, sondern Glasröhren für den Laborgebrauch, die R. auf verschiedene Längen kürzt; für die hohen Töne verwendet er eigens hergestellte Gläser mit Fuß und Kelch. In Hamburg tritt der 45-Jährige in Donizettis "Lucia di Lammermoor" auf, die an diesem Sonntag an der Staatsoper Premiere hat.

Simone Young hat auch für diese Produktion Quellenforschung betrieben. Deshalb hat sie R. für die Begleitung der berühmten Wahnsinnsszene verpflichtet, das Herz der Oper und ein Koloratur-Renommierstück erster Güte. Donizetti hat den Part für Glasharmonika geschrieben, normalerweise spielt ihn aber eine Querflöte. "Der Klang der Glasharmonika macht Lucias Wahnsinn hörbar, das kann die Flöte nicht", sagt R.. "Und außerdem kann eine Flöte nicht mehrstimmig spielen!"

Die originale Glasharmonika wurde zu Lebzeiten Mozarts erfunden, von niemand Geringerem als dem amerikanischen Staatsmann und Naturforscher Benjamin Franklin. Auf eine quer liegende Achse werden hintereinander verschieden große Glasschalen gleichsam aufgefädelt. Auch sie werden durch Reiben mit befeuchteten Fingern in Schwingung versetzt. Das Instrument sieht zwar ganz anders aus als R.s Verrofon, der Klang ist aber fast gleich, nur leiser. Auch die Glasharmonika wird heute noch gespielt: "Aber in einem modernen Opernorchester ist die dynamische Balance mit dem Verrofon einfach besser." Mozart hat kurz vor seinem Tod für das Instrument komponiert; im Übrigen ist das Repertoire der Glasharmonika denkbar klein. R. hat das nie gestört. Er hat sogar die "Festspiele der Glasstraße" im Bayerischen Wald ins Leben gerufen: "Ich kenne alle Glasmusiker dieser Welt", sagt er, "fast alle sind meine Kunden. Ich bin ja der einzige Hersteller." Spricht's und geht in die Probenpause, unter dem Arm ein Brett mit den acht Weingläsern darauf. Er hält es ein wenig schief, aber die Gläser rutschen nicht. Sie sind angeklebt.