Die Schauspieler Julia Nachtmann und Aleksandar Radenkovic sprechen vor der “Romeo und Julia“-Premiere über den Sturm jugendlicher Gefühle.

Hamburg. Liebe passiert. "Ohne dass man bewusst etwas hinzufügt", sagt Aleksandar Radenkovic. Und: "Es geht darum, die Balance zu finden zwischen dem gewaltigen Text und dem, was man selbst an Emotionen draufpackt oder lieber weglässt." Der Schauspieler und seine Ensemblekollegin Julia Nachtmann proben derzeit täglich, wie man das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur mimt: William Shakespeares "Romeo und Julia". Regisseur Klaus Schumacher richtet die Neuinszenierung des neben "Hamlet" meistgespielten Shakespeare-Dramas für die Premiere am 16. Januar im Schauspielhaus ein.

Generationen von Theaterbesuchern haben mit dem himmelstürmenden Gefühl der beiden Veroneser Jugendlichen gelitten und geschmachtet. Sind ihrem Schicksal aus drohender Standesheirat, Mord, Verbannung, vorgetäuschtem Tod und den Zerwürfnissen der verfeindeten Familien Capulet und Montague gefolgt. Und sahen ihren Liebestod als folgerichtigen Ausweg aus einer verständnislosen Welt.

Scheu vor dem großen Klassiker ist dem Schauspielerduo nicht anzumerken. Zurückgelehnt sitzt es in einem nahen Café, wärmt sich nach der Probe an einer Tasse Tee und wirkt vergnügt. "Man fragt sich, wie spielt man die größte Liebe der Welt, aber im Grunde ist sie ja sehr einfach", sagt Julia Nachtmann. Die beiden Jungmimen teilten bereits in Schillers "Kabale und Liebe" als Liebespaar die Bühne. Das erlaube ihnen, im eigenen Spiel weiterzugehen, erschwere allerdings auch den Zauber der unvoreingenommenen Begegnung. In der Arbeit hilft ihnen, dass sie sich beide eher als emotionale Schauspieler sehen. "Wir müssen keine Liebesromane lesen oder Ratgeber ,Wie küsse ich richtig?'", sagt Radenkovic. Sein Romeo sei etwas brutaler angelegt als im Text. "Er ist immer so blumig. Da muss man dagegenhalten." Und wer Julia Nachtmann von der Bühne kennt, weiß, dass ihre Julia sicher Naivität, aber wenig Feenhaftes ausstrahlen wird. "Ich versuche natürlich, Facetten herauszufinden, wo ich das Naheliegende nicht bediene", sagt sie.

Viel von der Sogwirkung des Stückes beruht darauf, dass "Romeo und Julia" ihre erste Liebe durchleben. Sie sind jung, Julia ist gerade mal 14, Romeo wenig älter, sie wissen noch wenig und wollen doch so viel. Die Liebe trifft sie blitzartig. Gefühlslandschaften tun sich auf, die sie vorher nicht kannten. Die Utopie eines absoluten Gefühls wächst - bis hinter einer Biegung das erste Leid wartet. "Gerade die unglückliche Liebe, der Schmerz über die Vorstellung, wie toll es hätte sein können, stellt ein Riesenpotenzial für Gefühle dar", sagt Julia Nachtmann. Vor allem das unglückliche Verliebtsein sei für Jugendliche ein Quell der Faszination. Aleksandar Radenkovic: "Das Scheitern ist ja auch toll. Man kann Gedichte schreiben, Kuschelrock hören und weiß dabei, ach, ich empfinde so tief. Da ist man gleich bei Shakespeare und es ist gar nicht kitschig."

Viele Heranwachsende lernen den Stoff heutzutage in poppig-bunten Kinoversionen kennen. 1996 ließ Baz Luhrmanns Leonardo DiCaprio und Claire Danes in seinem visuell mit Popmusik, Action und religiösem Kitsch aufgeladenen "William Shakespeares Romeo + Julia" Originalverse rezitieren. Aktuell strömen Jugendliche in die "Twilight"-Saga. "Das ist nichts anderes als eine Adaption des Stoffes für die Vampirwelt", sagt Radenkovic. Auf der Bühne gelang vor zwei Jahren Andreas Kriegenburg mit einer fabulierlustigen Version im Thalia in der Gaußstraße ein Dauerbrenner.

Doch wie gewinnt man die abgeklärten Jugendlichen von heute für die Schönheit der 1597 in London uraufgeführten Tragödie? Wie handhabt man die im Petrarkismus verfestigten Floskeln der Liebe? "Das ist ja ein Problem des Theaters allgemein. Wir sind aus dem Fernsehen und Kino so viele überladene Bilder und schnelle Schnitte gewohnt", so Radenkovic. "Dennoch, das Überleben des Theaters zeigt, dass weiter eine Sehnsucht besteht, Menschen live bei einer Empfindung zuzusehen, die heute so und morgen ganz anders entsteht." Die Inszenierung folge im Wesentlichen dem Klassiker in der in Versen angelegten Übersetzung von Sven-Eric Bechtolf und Wolfgang Wiens. Sie bemühe sich aber um einen "modernen Ton".

"Wir konzentrieren uns auf den Aspekt, dass die reine Liebe, die größte, die erste, eigentlich durch die Fantasie noch größer wird als in der Realität", sagt Julia Nachtmann. "Romeo und Julia erleben ja alles nur einmal. Sie treffen sich, sie verlieben sich, sie heiraten, sie erleben eine Liebesnacht, und bevor der Alltag kommt, sind sie tot." Ein frei gewählter Tod wird es sein. Leise und ohne Schrecken. "Willkommen, Tod, denn Julia will es so", sagt Romeo an einer Stelle.

So viel ist sicher, Regisseur Klaus Schumacher wird bei "Romeo und Julia" nicht in Regietheatermanier mit der Abrissbirne ansetzen. Julia ist keine Hip-Hop-Queen mit Berliner Slang auf der Zunge. Der Konflikt wird auch nicht auf einen Streit der Religionen gedeutet. Idealerweise nehmen Orte und Geschehen im Kopf des Zuschauers Form an. "Der Text soll sich so persönlich und wahrhaftig wie möglich herstellen", sagt Radenkovic. Und dann schleicht sich doch noch Ernüchterung ins Gespräch. Radenkovic: "Man kann mit dem Stück nur scheitern. Es enthält einfach zu viele gewaltige Sätze, die so viele Menschen schon gehört haben."

"Shakespeare spricht ja vom Gefühl, das reicher ist als Worte", sagt Nachtmann. "Ich finde es schön, dass er seine eigenen Worte relativiert." Klingt fast ein wenig erleichtert.

Romeo und Julia: Premiere Sa 16.1., 20.00, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de