Lothar Zagrosek zeigte sich mit den NDR Sinfonikern und Sopranistin Simona Saturová als ein Musiker, der der kleinsten Note Bedeutung gibt.

Hamburg. Da lauscht man erwartungsfroh auf den Einsatz - und fragt sich dann taktelang, ob's auch das richtige Stück ist? So eigenwillig war der Rhythmus des Trommelsolos, mit dem der Dirigent Lothar Zagrosek und das NDR Sinfonieorchester ihr Konzert am Sonntag begannen. Auch die Streicher mussten erst mal insistieren, ehe das Ohr überzeugt war: Nein, es war kein Bartok, was da erklang.

Sondern Jean-Philippe Rameau. "Une suite imaginaire" heißt das Werk, in dem Zagrosek Instrumentalstücke aus Opern des Franzosen versammelt hat. Geschickt ließ Zagrosek urgewaltiges Donnern mit höfisch gepuderter Eleganz abwechseln, dann wieder wehten laue Lüfte wie auf Idyllen des französischen Rokokomalers Antoine Watteau.

Das Orchester trat in der ersten Hälfte zwar in reduzierter Besetzung an, für diese Musik aber war sie noch arg groß; die rasenden Läufe und französisch vertrackten Rhythmen gerieten nicht ganz nadelspitz. Flöten und Fagott näherten sich im Timbre dem Originalklang. Die Streicher spielten vibratoarm und klar, wenn auch die Bogenökonomie nicht ganz an die der Darmsaitenfraktion heranreichte.

Zagrosek zeigte sich wieder als ein Musiker, der der kleinsten Note Bedeutung gibt: Er betonte lustvoll harmonische Überraschungen, dehnte Schlusstöne und ließ bei den pizzicati die Saiten nur so klatschen.

Genauso federnd begleitete das Orchester die beiden Konzertarien von Wolfgang Amadeus Mozart. Die slowakische Sopranistin Simona Saturová sang sie mit jugendlich-beweglicher, wunderbar drucklos geführter Stimme. "Fra cento affanni" kam, ein Jugendwerk Mozarts, noch eher brav daher, so mühelos die Koloraturen auch perlten. Im Rezitativ von "Misera, dove son - Ah! Non son io che parlo" variierte die Sängerin die Klangfarben und fand zu einem spontan wirkenden Ausdruck zwischen Intimität und Drama, als erzählte sie Selbsterlebtes.

Aus César Francks Sinfonie d-Moll schließlich ließen die Musiker mit den paar Motiven ein ganzes Klanggebäude zwischen sakraler Gedankenschwere und aufrauschendem Jubel entstehen. Die Bläser fügten sich zu archaisch-dunklen Monolithen, im liedhaft schlichten Mittelsatz blühten Englischhorn und Streicher. Zagrosek formte jeden Nebengedanken und meißelte die Synkopen heraus, als wäre es Filmmusik.

Nach so beredtem, klangsinnlichen Musizieren ging man beschwingt nach Hause. Dem konnte selbst der Schneematsch vor der Tür nichts anhaben.