Das Kino entdeckt das Alter. Jüngstes Beispiel: Leander Haußmanns neuer Film “Dinosaurier“, in dem Stars wie Walter Giller, Nadja Tiller, Eva-Maria Hagen und Ezard Haußmann die Lachmuskeln strapazieren.

Irene Jung hat mit Regisseur und Darstellern gesprochen und erklärt, warum Filme über alte Menschen große Gefühle auslösen.

Darf ich Sie küssen?", fragt der weißhaarige Herr im Bademantel. "Warum sollten wir uns küssen?", fragt die Dame mit dem grauen Dutt perplex. Aber lange wird es mit dem Küssen nicht mehr dauern in Leander Haußmanns neuer Komödie "Dinosaurier".

Ja, alte Leute verlieben sich und küssen sich. Sie stürzen sich in neue Projekte, treten weite Reisen an. Blicken zurück, bringen ihr Leben in Ordnung. Das alles lernen wir in Filmen: Endlich trauen sich Kino und Fernsehen, von Alten und vom Alter zu erzählen.

Doris Dörries "Kirschblüten" zum Beispiel: eine Geschichte von geheimen Wünschen in einer Zweisamkeit. Hannelore Elsner, 67, und Elmar Wepper, 65, spielen das Ehepaar Trudi und Rudi, dessen Kinder keine Zeit haben und längst ihr eigenes Leben führen. Erst als Trudi völlig überraschend stirbt, merkt Rudi, was sie ihm alles bedeutet hat, was sie ihm - dem viel Kränkeren - geopfert hat. Kaum jemand versteht die leise Wehmut so gut in Bilder zu setzen wie Dörrie.

In Andreas Dresens "Wolke 9" verliebt sich die Rentnerin Inge nach 30-jähriger Ehe Hals über Kopf in einen anderen Mann. Und zwar so Hals über Kopf, dass sie die Affäre nicht diskret verschweigen will - mit allen Konsequenzen. Wurde der Film 2008 wegen der freizügigen Sexszenen zum Publikumserfolg? Kaum. Viele Zuschauer waren vielmehr erleichtert, auch die Liebe alter Menschen zu sehen. Falten, Altersflecken, weiche, welke Haut - die Kamera schönt nichts. Aber die Schauspieler Ursula Werner (66) und Horst Westphal (80) spielten ohne Scheu und mit einer sich selbst entwickelnden Sinnlichkeit. "Es hat mich angeödet, dass die Gesellschaft immer älter wird, es aber nicht die dazugehörigen Bilder gibt -Liebe und Sex gehören ab einem bestimmten Alter scheinbar auf zu existieren", sagte Regisseur Dresen.

Film ist immer eine Reaktion auf Wandel. In diesem Fall eine Antwort auf den demografischen Trend: Schon sind knapp 20 Prozent der Deutschen über 65 Jahre alt. In ganz Westeuropa, den USA und Japan überaltert die Gesellschaft immer schneller. Lebensstile, Hobbys, Konsum, Versicherungen und Kulturvorlieben älterer Menschen spielen eine immer größere Rolle. Die Alten werden quasi ein eigener Markt.

Aber die heutigen Alten der Kriegsgenerationen haben auch viel nachzuholen. Sie haben zwar die prüde Adenauerzeit, das Wirtschaftswunder, den Aufbruch der Sechziger in die Freizügigkeit miterlebt. Aber die Lust am Sich-Ausprobieren haben sie vielfach nicht auf sich selbst bezogen. Das Bild von einem "würdigen Alter" blieb gleich: Rentner sollen auf dem Sofa sitzen und Richard-Tauber-Platten hören.

Dieses Klischee ändert sich rasant. In der Werbung darf Oma für Schweppes jetzt im Schwimmbad eine Arschbombe machen. Für eine Creme macht Starfotografin Annie Leibovitz wunderschöne Aktaufnahmen von alten Frauen.

Und während Schauspieler/-innen vor zehn Jahren noch klagten, ihnen würden ab 45 keine vernünftigen Drehbücher mehr angeboten, gibt es immer mehr Regisseure, die gerade lebenserfahrene, bekannte Gesichter zeigen wollen. Jack Lemmon (84), Jack Nicholson (72), Clint Eastwood (79) faszinieren auch mit Gesichtern, die aussehen, als hätten sie gerade ein Nickerchen darin gemacht - und sie genießen im Alter Rollen, die sie in ihren wilden Filmjahren nie spielen konnten.

Für pure Lebensfreude steht Gianni di Gregorios "Festmahl im August", eine wunderbare Komödie über einen Mittfünfziger, der den "Seniorensitter" für vier rüstige alte Damen spielen soll. Umgekehrt halten sie ihn mit Zickenkrieg, Altersstarrsinn, Lästern und Diätvorschriften auf Trab. Das lässt sich nur mit viel Humor und frischem Weißwein überstehen.

Mit großem Mut wandte sich dagegen die 28-jährige kanadische Regisseurin Sarah Polley in "An ihrer Seite" dem Thema Alzheimer zu: Altstar Julie Christie (68) und Gordon Pinsent (79) spielen mit unglaublicher Sensibilität das Ende einer langen harmonischen Ehe, aus der die alzheimerkranke Frau allmählich entgleitet.

Und von wegen Richard Tauber: Zum Überraschungserfolg wurde auch der Dokumentarfilm "Young@Heart" über einen britischen Rentner-Chor, der sich mit Rock- und Punk-Titeln wie "Should I Stay Or Should I Go" von The Clash in unsere Gehörgänge schmettert.

Filmwissenschaftler und Produktionsfirmen haben inzwischen erkannt, dass alte Menschen im Kino starke Gefühle auslösen, ähnlich wie Kinder oder Tiere. In alten Gesichtern liest das Publikum Lebenserfahrung und Ernsthaftigkeit. Die Filmgeschichten erzählen von verpassten Möglichkeiten, von lange schwelenden (Generations-)Konflikten und von letzten Aussöhnungen. Sie erzählen von Trennung und Abschied, der irgendwann unvermeidlich wird.

Komödien wie "Dinosaurier" von Leanders Haußmann überzeichnen natürlich. Aber natürlich weiß Haußmann auch, dass er mit Themen spielt, die heute angstbesetzt sind: Gebrechlichkeit, Armut und Altenheim. Die Lina Braake der 70er-Jahre, damals gespielt von Lina Carstens, hatte noch Optionen auf kleine Fluchten und einen leisen, melancholischen Ton.

Heute ist es ein klarer Nachteil, im Alter leise und naiv zu sein. Auf der Kriegsgeneration und ihren Kindern lastet der Druck privater Vorsorge, sparsamer Krankenkassen und stagnierender Renten. Wer eine Pflegestufe beantragen will, muss kryptische Formulare verstehen lernen.

Für Haußmann kam daher trotz aller Komik kein aalglattes Pointenfeuerwerk infrage. "Wir leben in einem zwar sehr sozialen und demokratischen Kapitalismus, aber eben in einem Kapitalismus", sagt er. "Wenn ich mich nicht frühzeitig darum kümmere, kriege ich meine Zähne, meine Brille oder Hörgerät eben nicht von der Kasse finanziert. Wenn ich nichts zurücklege, kommt die Pflege nicht zu mir ins Haus, sondern ich muss in ein Heim zur Pflege. Es gibt reine Sterbestationen mit völlig überlastetem, unterbezahltem, unmotiviertem Personal. Das ist unserer Gesellschaft nicht würdig. Es ist unter dem, was unsere Verfassung schützt: die Würde des Menschen, die unantastbar ist." Aber deshalb seien Krankheit und Alter kein Tabuthema für Komödien.

Seine David-gegen-Goliath-Story der Rentnerbande, die eine Bank hereinlegen will, rangiert am Rande eines modernen Märchens. "Es gibt Themen, die sind belastend. Faschismus, Alter, Tod - alles unlustig", weiß Leander Haußmann. "Das Gebot lautet heute: junge Menschen, alles herrlich und fröhlich." Er habe keine Lust, solche Angstmacherei vor dem Alter mitzumachen. "Sie vermiest einem ja das eigene Leben. Und ein sorgenfreies Leben gibt es nun mal nicht."