“Fürchtet euch nicht“ vor den Weihnachtsplatten von Bob Dylan, Sting und Co. - als wenn das so einfach wäre.

Das populäre Weihnachtslied setzt auf hysterischen Konsum und das Erzeugen trügerischer Wärme. Es behandelt alle gleich, die niederkommende Jungfrau wie das rotnasige Rentier. Es liefert den Soundtrack zum Kapitalismus.

Was wird dieses Jahr so alles auf den Markt geschüttet? Wer sich durch die Überproduktionshalden der führenden Plattenfirmen wühlt, durch Hits für Frauen, Kleinkinder und ZDF-Zuschauer, stößt auf zahlreiche Adventsalben der 60er- und 70er-Jahre. Stapelweise werden Genreklassiker neu aufgelegt fürs Fest 2009. Nicht nur weil Michael Jackson einem frohe Feiertage wünscht. Zwölf Jahre ist er dabei wieder alt und schwarz, er lacht. Inmitten seiner älteren Brüder. "Christmas Won't Be The Same This Year" lautet die Botschaft, die in diesem Jahr kein Sänger glaubwürdiger vorträgt.

Weihnachten bleibt für Normalsterbliche Jahr für Jahr dasselbe, seit die Popkultur es mit dem 20. Jahrhundert neu erfunden hat. Der Weihnachtsmann von Coca-Cola und "White Christmas" von Bing Crosby oder den Temptations. Allerdings ist die Adventsmusik der letzten 20 Jahre eine andere. Während der 80er-Jahre wurden in den Weihnachtshits noch Herzensangelegenheiten abgehandelt wie der Welthunger ("Do They Know It's Christmas?") oder der verwundene Schmerz ("Last Christmas"). Anschließend wurden die Aufnahmen entweder übertrieben bierselig, belanglos oder zu besinnlich. Eine lange Tradition ging mit den 80ern zu Ende. Sie fing damit an, dass Martin Luther Volksgesänge in den Weihnachtskanon aufnahm.

In Amerika wird Weihnachten als "Holidays" begangen. Als integratives Fest und als Fest der Konjunktur. Die Tradition verpflichtet jede kulturelle Leitfigur zur Weihnachtsplatte, Frank Sinatra ebenso wie Homer Simpson. Eine Weihnachtsplatte gilt als Zeugnis, es geschafft zu haben. Daran erinnern heute die CDs, die Motown neu veröffentlicht: die Jackson 5 gleich zweimal. Die Supremes mit Schlittenschellen statt Tamburinen. Die Temptations und die Four Tops als erhitzte Gospelchöre. Stevie Wonder, der erstaunt über den eigenen Aufstieg "Twinkle Twinkle Little Me" anstimmt. Der "Little Drummer Boy", das Lied des kleinen Sklaven, fehlt auf keiner Motown-Weihnachtsplatte.

Heute wünscht DJ Ötzi ein frohes Fest, Celine Dion begrüßt den Heiland. Weihnachten als klingende Groteske. Selbst Bob Dylan hat seine erste Weihnachtsplatte aufgenommen und sich dem Brauch gebeugt. Zwar neigt seine Gemeinde für gewöhnlich dazu, jede Äußerung als Segen zu empfangen. "Christmas of the Heart" jedoch ließ bereits unzählige Skeptiker das Wort erheben. Es fängt an mit Glöckchen und der mehrfach krächzend vorgetragenen Drohung "Here Comes Santa Claus". Vielleicht geht es Dylan mit seinen asthmatischen Versionen um die Botschaft, dass man Weihnachten im Herzen feiern muss. Vielleicht wollte er nur die Traditionslinie des Weihnachtsalbums in einer Satire enden lassen. Vielleicht will er nur "Fürchtet euch nicht!" verkünden mit den fürchterlichsten Fassungen. Man weiß es nicht. Man will es auch nicht wissen.

Man weiß lediglich, dass Sting, der Engländer, der anderen Richtung folgt, die Weihnachtsalben heute nehmen. Er läuft unrasiert und einsam durch den Schnee. Oder er kauert in der Wärmestube als Messias mit Gitarre und umringt von Harfenistinnen und Geigern. Weihnachten misstraut er heute so sehr, dass er eine Winterplatte aufgenommen hat. Sting adaptiert Henry Purcell und Jazz, singt Wiegenlieder und verstaut "God Rest Ye, Merry Gentlemen!", den Weihnachtsklassiker, in einem Lied, das "Soul Cake" heißt. Im Seelenkuchen.

Bob Dylan nimmt ein Weihnachtsalbum auf, das alles Feierliche von sich weist. Sting nimmt ein Album auf zur inneren Einkehr und zum feierlichen Kern. Aber wo steckt der Kern? Seit 20 Jahren sucht ihn die Musik vergebens. In den 50 Jahren vor der Liederkrise wärmten sich Menschen an ihren Einkäufen und sangen oder hörten Lieder wie "White Christmas". Manches war in Spuren noch vorhanden und gehörte, häufig sogar ohne Weihnachtsgeld, zum Fest dazu: Familie, Religion, Kapitalismus. Aus Geschenken und Gebäck, aus den Früchten nervlicher Zerrüttung wurden Wahrzeichen des Friedens. Auch aus alten Weihnachtshits. Daran hat sich nicht viel geändert, nur die Sänger schämen sich heute dafür.