Hamburg. In einer romantischen Vorstellung vom Kunstwerk und seiner Erschaffung gibt es stets den entsagenden Dichter, der jahrelang und in der Haltung eines Solipsismus aus Notwehr an seinem Roman arbeitet. Nur er glaubt dran, seine Schreiberklause ist ein einsamer Ort - aber dann wird aus seiner literarischen Erschaffung plötzlich ein Hit. Ein Bestseller. Ein Erfolg, mit dem keiner gerechnet hat (außer er selbst), und eine schöne Bescherung für den vorher darbenden Verlag, der sich nun nicht nur am sensationellen Erfolg des Poeten labt, sondern durch die mannigfachen Verkäufe die Produktion seiner anderen Autoren sichert.

So weit das Traumgespinst. Realiter ist es natürlich so, dass es einen vorgezeichneten Weg zum Bestseller oder, wie es im Hyper-Superlativ heißt, "Megaseller" gibt. Auf diesem Weg werden die Etappen des Marketings abgerissen, und natürlich wird in einer Art Prolog schon die Entstehung des Werks selbst strengen Vorausberechnungen, wie jenes beim Publikum ankommen könnte, unterworfen. Das ist der Fall, wenn beliebte Romane, Stoffe und Sujets einfach kopiert werden. Das Vorgehen war etwa beim Ekelroman "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche ein opportunes Mittel, der einige Nachahmer - zum Beispiel den Hamburger Heinz Strunk mit seiner "Feuchtgebiete"-Variation "Fleckenteufel" - fand. Da ist also viel Kalkül mit im Spiel, wenn ein erfolgreiches Werk auf dem umkämpften Buchmarkt platziert werden soll. Wobei wir hinsichtlich der genannten Werke schon auf der richtigen Spur sind: Denn die allermeisten Bestseller im Bereich der Belletristik sind nicht der Hochliteratur zuzurechnen. Wer an die Spitze der Verkaufslisten will, der schreibt heute am besten einen leicht zu konsumierenden Thriller oder Fantasy-Roman. Dan Brown, Frank Schätzing, Stieg Larsson und natürlich Stephenie Meyer treffen den Geschmack des Lesepublikums wie niemand sonst. Ihre Bücher haben einen hohen Wiedererkennungswert: Es sind schon die Gestaltungen ihrer Buchcover, die auf Erfolg getrimmt sind. Man weiß jedenfalls immer, was oder wen man gerade in der Hand hat. In Buchhandlungen mit Laufkundschaft stapeln sich die Wälzer stets in vorderster Front. Und auch wenn der Vergleich von U (unterhaltend) und E (ernst) etwas typisch Deutsches zu sein scheint, verläuft die Trennungslinie zwischen Pop und Spartenprogramm genau hier.

So brauchen die anspruchsvolleren Autoren in der Regel Starthilfen, um den Absatz ihrer Bücher anzukurbeln. Für Kritikerlob können sie sich meist nichts kaufen, für Anrufe aus Stockholm schon. Die ziemlich überraschende Gewinnerin des Literatur-Nobelpreises 2009, die Berlinerin Herta Müller, reüssierte mit ihrem aktuellen Roman "Atemschaukel" erst nach Bekanntgabe ihrer hohen Ehrung. Ihr Münchner Verlag Carl Hanser schloss einen wenig riskanten Wechsel auf die Zukunft ab und ließ flugs 120 000 Exemplare drucken. Seitdem hält Müller sich hartnäckig in den Bestsellerlisten, in die Sphäre der Meyers und Schätzings wird sie dennoch nie vorstoßen. Dass Preise neugieriges Interesse, das sich auch an der Kasse niederschlägt, hervorrufen, macht sich die Branche in jüngster Vergangenheit immer offensiver zunutze. Die Buchpreise der Messen in Leipzig und Frankfurt haben zum Beispiel vorher wenig bekannte Autoren wie Clemens Meyer und Uwe Tellkamp die nötige Aufmerksamkeit verschafft. Namentlich Tellkamp, dessen Opus magnum "Der Turm" 2008 mit dem Frankfurter Preis ausgezeichnet wurde, war danach ein beinah märchenhafter Erfolg beschieden: Das üppige und anspruchsvolle Werk fand bislang 500 000 Käufer.

Es soll übrigens Meisterwerke geben, die sich glänzend verkaufen - aber nur zur Zierde im Regal stehen.