Bange Blicke in der Laeiszhalle: Harfenist Xavier de Maistre verlor den Faden. Die Harfe als Soloinstrument überzeugte nicht.

Hamburg. Künstlerpech ersten Grades ist, wenn ein auswendig spielender Solist im Konzert kurz vor der Kadenz plötzlich den Faden verliert. Ebensolches ereilte den Harfenisten Xavier de Maistre beim Auftritt mit den Hamburger Symphonikern am Sonnabend in der Laeiszhalle. Im ersten Satz von Haydns Klavierkonzert D-Dur, das de Maistre, Residenzkünstler der Symphoniker in dieser Saison, auf der Harfe spielte, drohte das ohnehin schon auf dynamische Sparflamme gedimmte Klanglicht kurz gänzlich zu verlöschen. Für Sekunden griffen die Finger des Solisten ins Leere, bremste das Orchester wie vor einem imaginären Hindernis. Bange Blicke allenthalben. Künstlergröße nun aber ist, mit solchem GAU souverän umzugehen. Im Handumdrehen des Dirigenten Jeffrey Tate nahm die bis dahin so schön dahingeperlt habende Musik wieder Fahrt auf. Vor die Wand gefahren war in diesem musikalischen Sekundenschlaf niemand, aber so richtig entspannt zurückzulehnen wagten wir uns danach auch nicht mehr.

De Maistre ist ein feiner und intelligent phrasierender Musiker; dass seiner Harfe dennoch kaum ein später Höhenflug als Soloinstrument vor einem Symphonieorchester beschieden sein dürfte, liegt schlicht an ihren klanglichen Grenzen. Im Diskant setzt sie sich mühelos auch im Tutti durch, doch ab den Mitten fehlt ihr die Prägnanz, das Perkussive, die trockene Durchschlagskraft. Man sieht mehr, als man hören kann. Umso schöner dann die Solo-Zugabe, "Mandoline" von Elias Parish-Alvars: Hier entfaltete sich die berückende Klangkunst des Virtuosen de Maistre, nach dessen Pianissimi man schnell süchtig werden kann.

Anschließend führte JeffreyTate die Symphoniker mit der Dispositionssicherheit des erfahrenen Musikkapitäns durch die Stromschnellen, Malströme, Untiefen und Klippen von Bruckners5. Symphonie. Die Zeitangabe im Programmheft "Ca. 70 bis 80 Minuten" deutete Tate absolut in Richtung 80 Minuten. Das Stück ist bei Gott recht ungefällig, doch lang wurde die Zeit kein bisschen, selbst wenn eine Dame in Reihe zwölf ihrem Begleiter schon nach dem ersten Satz zuraunte: "Das war an der Grenze." Da gehört eine derart implosive Musik auch hin. Immer wieder stellt sie sich selbst infrage, hält in Generalpausen inne, türmt kurz wuchtige Klangbrocken auf, um sie sogleich wieder in einsamen Holzbläserkantilenen zurückzunehmen. Bis sie in einem Lavastrom aus Blech- und Paukenexzessen endlich zum finalen Ausbruch kommt, konfrontiert sie den Hörer mit tiefster Seelenpein.

Tate und die Symphoniker gestalteten diese künstlerisch-menschliche Grenzerfahrung denkbar intensiv und bewegend.