Mit 29 Jahren gibt Marie Leuenberger ihr Filmdebüt in “Die Standesbeamtin“. Darin spielt sie eine Mutter, die ihrer Jugendliebe wiederbegegnet.

Hamburg. Früher hat sie es allen recht machen wollen. Den Regisseuren, den Kollegen, den Zuschauern. Hat Ja gesagt zu jeder Rolle, jedem Regieeinfall, auch wenn der Bauch Nein gesagt hat. Heute ist sie kritischer, wählerischer. "Ich fange allmählich an, mich zu wehren", sagt Marie Leuenberger an einem grauen Herbstnachmittag, die Kuchengabel in der Hand - und so, wie sich die Jahreszeit draußen anfühlt, lässt sich auch das Gemüt der Schauspielerin beschreiben: Zeiten der Veränderung. Unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. Gut, dass aus der Lautsprecheranlage jetzt nicht auch noch die berühmte Scorpions-Hymne dudelt: Wind Of Change. Nein, zum Glück erzählt Marie Leuenberger mit warmer, leicht singender Stimme von ihrem ersten Film, der morgen in den Kinos startet. Er heißt "Die Standesbeamtin" und erzählt von einer jungen Frau in einer Schweizer Kleinstadt, die nicht mehr an die Liebe glaubt - bis ihr Jugendfreund auftaucht. Allerdings mit seiner Verlobten im Schlepptau, die er heiraten will (na ja, eher umgekehrt); die Trauung soll eben jene junge Frau vollziehen: die Standesbeamtin, gespielt von Leuenberger.

Es ist ihre erste Hauptrolle in einem Spielfilm nach nunmehr 13 Jahren, in denen sie erfolgreich Theater spielt. Funktioniere ich vor der Kamera? Diese Frage (und die Antwort darauf ist eindeutig: ja) hat sie genauso beschäftigt wie die Tatsache, dass sie mit der Rolle ein Stück Verantwortung übernimmt: "Ich habe gemerkt, dass ich etwas tragen kann. Das hat mir Selbstbewusstsein gegeben", sagt die 29-Jährige.

Am Theater hat Leuenberger relativ schnell relativ viel erreicht. Stationen, die anderen Schauspielern erst nach vielen Anläufen gelingen, haben bei ihr auf Anhieb geklappt: Geboren in Berlin, stand sie mit 16 Jahren am Theater Basel auf der Bühne, drei Jahre später, gleich nach dem Abitur, studierte sie an der renommierten Otto-Falckenberg-Schule in München. Sie wurde Ensemblemitglied am Bayerischen Staatsschauspiel, bekam Stipendien, Nachwuchspreise und wechselte 2005 ans Hamburger Schauspielhaus. Hier war sie eine wunderbare "Minna von Barnhelm", eine beeindruckende "Medea"-Nebenbuhlerin Kreusa und ist momentan im Krimistück "Tannöd" zu sehen.

"Es ging alles fließend, ruckzuck", sagt Marie Leuenberger achselzuckend. Beinahe entschuldigend klingt das - und ist doch nur folgerichtig. Weil es nie eine Alternative zur Schauspielerei gab, keinen Plan B. Von Anfang an sei es Leidenschaft gewesen, sagt sie, "Liebe auf den ersten Blick": für diesen ganz speziellen Geruch im Theatersaal, diese Mischung aus zu wenig Luft und schweren, samtenen Stuhlbezügen. Für diesen einen Moment, wenn sich der Bühnenvorhang öffnet und die Anspannung ins Unerwartbare kippt.

Eigentlich hat diese junge Frau auf den ersten Blick so gar nichts an sich, was sie als Schauspielerin auszeichnet - zumindest nicht, wenn man den Maßstab einschlägiger Klatschmagazine anlegt. Sie trägt Pulli und Jeans. Sie ist ausgesprochen hübsch, aber auf eine eher unspektakuläre, nüchterne Art. Es fällt einem der Begriff "apart" ein, zu dem man eigentlich nie ein rechtes Bild findet. Zu Marie Leuenberger passt er. Manchmal schürzt sie nach einem Satz ihre Lippen, sodass sich ein trotziger Zug um ihren Mund legt: So ist das. Punkt. Wenn sie über ihre Arbeit spricht, wirkt sie angenehm sortiert; es ist spürbar, dass sie viel nachgedacht hat über sich, das Leben und ihr Bauchgefühl; über ihre unübersichtliche, effekthascherische Branche, in der man vielleicht besonders gut auf sich achtgeben muss.

"Marie ist ehrgeizig und will alles", hat Regisseurin Karin Henkel über sie gesagt. Sie lache viel und laut und kenne doch "die Qualen und großen Zweifel einer Schauspielerin, die ihren Beruf ernst nimmt und liebt". Zweifel? Gibt es immer wieder, sagt Leuenberger. In solchen Situationen helfe nur: "Aushalten. Es ist wie in einer Beziehung, wenn man eine Krise hat, aber weiß: Das ist der Mensch, mit dem ich zusammen sein möchte."

Rahel Hubli heißt Leuenbergers Figur in "Die Standesbeamtin". Über diesen gewöhnungsbedürftigen Namen hinaus muss sie Liedzeilen singen wie "Willst du schon ga, ga, ga. Sag endlich Ja, Ja, Ja" und am Schreibtisch einen Heulkrampf bekommen. Sie trägt keine Schminke, ihre Klamotten sind nur so mittelsexy, und neben der Verlobten, die aussieht wie frisch aus einer amerikanischen Highschool-Komödie rausgehüpft, könnte sie leicht wie ein Dorftrampel wirken. Was sie jedoch nicht tut. Je weiter der Film voranschreitet, desto mehr wächst die Zuneigung und der Respekt für diese Rahel Hubli.

Vielleicht gelingt Leuenberger das so überzeugend und leichthändig, weil sie weiß, wie sich das anfühlt: sich Respekt verschaffen. "Man ist nicht mehr das Küken, sondern ist erwachsen geworden", sagt sie. Es gehe nun darum, "die goldene Mitte zu finden". Zwischen Theater und Film, Leben und Film. Bei Marie Leuenberger könnte sie sehr strahlend ausfallen, diese Mitte.