Seit den 60ern lassen sich vor allem US-Bands Konzert-Plakate von Künstlern entwerfen. “Rock Poster Art“ wurde so zur viel beachteten Kunstform.

Hamburg. Musikposter sind identifikationsstiftend. Betritt man zum Beispiel das Zimmer eines heranwachsenden Teenagers, eröffnen die mit Lady Gaga, Tokio Hotel, Eminem oder Nirvana behangenen Wände des Jugendzimmers tiefe Einblicke in sein Leben. Nun macht es einen Unterschied, ob angesagte Popstars, die härtesten Rapper oder Dutzende Rockbands den jugendlichen Mikrokosmos zieren, denn Musik, Lebenseinstellung und Mode sind eng miteinander verknüpft. Das Zur-Schau-Stellen der Lieblingskünstler in Posterform darf deshalb im wörtlichen Sinne als plakativer Akt verstanden werden.

Besonders deutlich wird diese Verknüpfung in der sogenannten Rock Poster Art. Diese Kunst steht heute im Gegensatz zu immergleichen Konzertplakaten, die an den Litfaßsäulen jeder Großstadt kleben und zu hochaufgelösten Promobildern zum Ausreißen aus Fan-Magazinen.

Die Rock-Poster-Art-Szene entwickelte sich in den 60er-Jahren um Künstler wie Stanley Mouse und Rick Griffin. Diese versuchen die damals einflussreichsten Rockbands in mühevoller Handarbeit auf Konzertplakaten zu visualisieren: Legenden wie Jimi Hendrix, Jefferson Airplane und The Grateful Dead. Unter dem Einfluss von LSD und Haschisch entstand eine psychedelische Siebdruck-Posterkunst der schrillen Farben und skurrilen, comichaften Zeichnungen. Lachende Skelette sitzen auf frisierten Motorrädern, gekrönt von Schriftzügen, die nur "stoned" entziffert werden können.

Den Künstlern ging es auch darum, die Essenz, die sie aus der Musik ziehen, auf ihren Plakaten in Szene zu setzen. Totenköpfe, Anspielungen auf Drogen und andere Symbole eines alternativen Lebensstils wurden in die Kunst integriert, Grenzen ausgelotet und Rock Poster Art schnell zur Verkörperung von Rockmusik selbst.

Mit der Kommerzialisierung von Rockmusik in den 70er-Jahren verflachte auch die Posterkultur. Erst seit den 90ern gibt es wieder Künstler, die bis heute mit Leidenschaft und Kreativität aufwendige Siebdrucke herstellen, die im Sinne der ersten Wegbereiter einen künstlerischen Anspruch verfolgen.

Heute ist Rock Poster Art erfolgreicher als je zuvor und endgültig dem Untergrund entwachsen: Die Bilder des Szenehelden Derek Hess zum Beispiel werden im Louvre ausgestellt. Auch an der Entwicklung der vom American Poster Institute veranstalteten Poster-Ausstellung "Flatstock" (eine Anspielung auf das Rock-Festival von Woodstock) lässt sich der Siegeszug der Rock Poster Art ablesen. Seit 2002 ist "Flatstock" auf den größten Musikfestivals der USA zu finden und lockt dort Zehntausende Besucher an.

Sammler streifen von Stand zu Stand und suchen nach liebevoll gestalteten Plakaten ihrer Lieblingsbands, noch immer meist alternativen Stils: Sonic Youth, Death Cab For Cutie, The White Stripes oder Queens Of The Stone Age. Kurz nach der Entstehung der Poster können limitierte Siebdruck-Schätze noch relativ günstig erworben werden, doch die Bilder gewinnen schnell an Wert.

Die Begeisterung für das Sammeln der Poster hat 2006 auch Europa angesteckt. Zusammen mit dem Hamburger Galeristen Ralf Krüger hat das Reeperbahn-Festival diverse internationale Posterkünstler zum ersten Mal nach Europa geholt, und auch in diesem Jahr werden auf dem Spielbudenplatz im Rahmen des Festivals rund 30 namhafte Aussteller ihre Werke präsentieren und verkaufen. Darüber hinaus feiert mit "American Artifact. The Rise of American Rock Poster Art" ein Film Europa-Premiere, der die Chronik der Kunst seit den 60er-Jahren aufzeigt.

Im digitalen Zeitalter, in dem die unendliche Vervielfältigung und perfekte Bearbeitung von Bilddateien nur einen Mausklick entfernt ist, eröffnet sich noch eine weitere Perspektive auf das Rock-Art-Poster: Was ist Musik eigentlich wert? Diese Diskussion gibt es an vielen Orten in der Popkultur, vor allem im Tonträger-Bereich. Immer mehr Musikliebhaber setzen ein Statement mit dem Kauf von Vinyl-Schallplatten, die an die althergebrachte Qualität und Hingabe von Musik erinnern. Wenn man so will, sind die Rock Art Poster die Schallplatte unter den Bandplakaten.

Flatstock Europe auf dem Reeperbahn-Festival, 24.9.-26.9., täglich 15.00-23.00, Spielbudenplatz.