Gustavo Dudamel und die Göteborger Symphoniker wurden bejubelt. Der Stardirigent eröffnete die Reihe der neuen Elbphilharmonie-Konzerte.

Hamburg. Nur zur Beruhigung für alle, die keine Karte mehr ergattern konnten: Übers Wasser ist er nicht gewandelt. Der Schlussapplaus allerdings war so euphorisch, als hätte er auch das gerade mit einem Lächeln unter den Wuschellocken hinbekommen. Gustavo Dudamel, 28 Jahre jung und schon als Chefdirigent des Los Angeles Philharmonics in der globalen Champions League der Spitzenorchester gelandet, ist ein Klassik-Dirigent mit Popstar-Qualitäten; ein Publikumsmagnet, der es schafft, dass 2000 Menschen eine Rarität wie die 4. Sinfonie des Dänen Carl Nielsen toll finden, die sie als Programmankündigung bei jedem anderen Dirigenten wohl eher nicht interessiert hätte.

So gesehen war es auch ein cleverer Eigen-PR-Schachzug von Generalintendant Christoph Lieben-Seutter, den quirligen Venezolaner für das Auftaktkonzert seiner neuen, hauseigenen Elbphilharmonie-Konzerte zu verpflichten. Der Saal war voll, die Erwartungen waren immens.

Erfüllt wurden sie nur bedingt. Denn obwohl Dudamel derzeit an der Maestro-Börse zu Spitzenkursen als "everybody's darling" gehandelt wird - ein Dirigent für jede Art von Repertoire ist er deswegen noch lange nicht. Und wenn ein Spartentalent wie Dudamel mit einem soliden Mittelklasse-Orchester wie den Göteborger Symphonikern auf eine Konzertbühne geht, kann man beim besten Willen keine Wunder erwarten, die jedes x-beliebige Stück zum Jahrhundertereignis ohne Wenn und Aber machen würden.

Beliebig ist dann auch die erste Vokabel, die nach der 1. Sinfonie von Beethoven ins Gedächtnis drängte. Klar kann man dieses Stück so freundlich und konturenarm spielen. Aber dann müsste man auch begründen, warum man sich so gar nicht aus dem Rahmen des Nötigen heraustraut. Bei Dudamel steht zu befürchten, dass er es noch nicht weiß; bei den Göteborgern, dass sie es besser, also: aufregender nicht können. Alles wurde brav durchsortiert und mit übermäßigem Respekt abgeliefert. Der Impetus des forschen, selbstsicheren Aufbruchs in eine neue Kunstform, die Beethoven seinen Hörern um die Lockenperücken gehauen hatte, der blieb im Vordergründigen einer netten Pflichtübung stecken.

Bei Mahlers Rückert-Liedern hatten Dudamel und sein Orchester deutlich leichteres Spiel. Mahlers brüchige, von manischer Lebens- und Leidenslust getriebene Welt- und Innensicht liegt diesem Dirigenten offenbar intuitiv näher. Mit Anna Larsson hatte er eine Solistin zu begleiten, deren Interpretation zwar gut zur wolkenverhangenen Grundstimmung der Gedichtvertonungen passte, deren dunkler Alt aber etwas fahl über die Nuancen hinwegging.

Wirklich lebendig und interessant wurde es erst nach der Pause, mit Nielsens "Unauslöschlicher". Ein Stück, das wie ein durchkomponierter Bluthochdruck ungebremst pulst und drängt und bei dem Dudamel endlich dort angekommen war, wo ihn sein Publikum an diesem Abend schon von Anfang an gesehen hatte: auf dem Drahtseil, mit Extremen jonglierend, als Dompteur, Überflieger und Showmaster. Vier Sätze lang ließ er es krachen und funkeln, das Pauken-Duell im Allegro war eine Einlage, als wäre sie beim Komponisten bestellt. So spielte zusammen, was hier doch noch gut zusammenpasste: ein skandinavisches Orchester, das diese Musik aus seiner Perspektive verinnerlicht hat, und ein lateinamerikanisches Energiebündel, das jede Chance zum Auftrumpfen nutzte. Immenser Jubel und zwei Zugaben, die diesen Repertoire-Spagat geschickt fortsetzten: das Zwischenspiel aus der Kantate "Songen" des Schweden Wilhelm Stenhammar und als Gegenpol "La Muerte del Angel" vom argentinischen Tango-Nuevo-Komponisten Astor Piazzolla. Die Begeisterung über das Gehörte war so groß, dass Dudamels Künstlergarderobe nach dem Konzertende buchstäblich überrannt wurde; der Empfang im Brahmsfoyer musste deswegen ohne seinen Star-Gast stattfinden, der sich laut Lieben-Seutter nicht mehr anders zu helfen wusste, als vor so viel Sympathie ins Hotel zu flüchten.