“Wir glauben, die zu kennen, die wir lieben.“ Bereits der erste Satz in Andrew Sean Greers “Geschichte einer Ehe“ gibt den Klang und den Kern des Romans vor.

Es geht um Geheimnisse und Selbsttäuschung in der Liebe, um ihre Unergründlichkeit, um Herzklopfen, Einsamkeit und den Schmerz desjenigen, der mehr liebt. Dennoch ist es kein trauriges Buch, eher ein vor einem warmen, nostalgischen Grundton schillerndes, das auch sprachlich von der Fülle und Schönheit des Lebens erzählt.

Eine Frau erinnert sich an die Liebe ihres Lebens. Pearlie lernte Holland Cook zweimal kennen, "als ganz junges Ding" und später, nach dem Krieg, am Strand von San Francisco. Sie liebte ihn "lichterloh" und bot diesem "bildschönen Mann" an, für ihn zu sorgen; er nahm dankbar an, liebte sie wohl auch, auf seine Art. Sie heirateten und bekamen einen Sohn. Es war keine einfache Liebe und kein einfaches Leben als einziges schwarzes Paar in einem Mittelschichtsviertel San Franciscos in den 50er-Jahren. Die Warnung seiner Cousinen, Holland habe ein "verdrehtes Herz", legte Pearlie so aus, dass sie ihn beschützen müsse. Sie baute eine kleine Idylle für ihre Familie auf und war glücklich. Bis ihr eines Tages ein "alter Freund" ihres Mannes etwas über Holland offenbarte, das alles infrage stellte.

Das psychologische und literarische Feingefühl des 1970 geborenen Autors Andrew Sean Greer, der in San Francisco lebt, ist bewundernswert. Das hat sich schon bei seinem 2005 auf Deutsch erschienenen Roman "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli" gezeigt. Die berührende Lebens- und Liebesgeschichte eines Mannes, der vom Greis zum Baby rückwärts altert, wurde zu Recht von der internationalen Kritik hoch gelobt. Als "Benjamin Button" ist zahlreichen Kinobesuchern Brad Pitt in dieser Rolle in Erinnerung.

Die "Geschichte einer Ehe" ist realistischer und unaufgeregter als die des Max Tivoli, der Rückblick fast noch raffinierter. Greer verführt den Leser mit der "mühelosen Schönheit", die die junge Pearlie an Holland bewundert. Die wahre Geschichte wird häufig mit nur einem rück- oder vorausschauenden Satz verschleiert, dann wieder wird ein Bruchteil freigelegt, nur um kurz darauf die Ahnung aufkeimen zu lassen, dass das Geheimnis in dieser Ehe vielleicht doch noch ein anderes ist. Sprachlich entzückt möchte man bei jedem Satz verweilen, inhaltlich drängt es einen voran. So entsteht eine faszinierend ruhige Spannung.

Pearlies Liebesgeschichte ist eingebunden in eine Zeit, in der die Menschen "noch immer versuchten, dahinterzukommen, wie man im Krieg nach dem Krieg leben sollte". Es geht in diesem Roman auch um die Ansichten derjenigen, die nicht an der Front, sondern in Verstecken, in Internierungslagern für "Drückeberger" oder einfach im Alltag gekämpft haben. Für Pearlie noch schlimmer als der Krieg: Die 50er-Jahre mit der US-amerikanischen Panik vor der Atombombe und "den Roten", "Jahre des Grauens", als Weiße und Schwarze in Fernsehsendungen nur getrennt auftreten durften, Homosexuellen lebenslange Haftstrafen drohten und die Menschen ihre Ängste voreinander versteckten.

Auch Pearlie spricht mit niemandem über ihr Innenleben. Sie beobachtet Holland, taktiert und schweigt; er ist sowieso meist abwesend. Nachdem Pearlie sich einmal ihrem Gegenspieler, der zugleich ihr Freund ist, anvertraut hat, fühlt sie sich "hohl", ganz ohne Geheimnis. "Man schüttelt sich und gar nichts klappert." In Greers erstaunlichem Roman klappert es bis zum Schluss.

Andrew Sean Greer: "Geschichte einer Ehe", S. Fischer Verlag, 256 Seiten, 19,95 Euro

Andrew Sean Greer liest beim Harbour- Front-Festival am Sonntag, 13.9., 21 Uhr auf der "Cap San Diego" (12 Euro)