Seit 35 Jahren begeistert Wickie Generationen von Fernsehzuschauern. Eine Figur, die ohne Zauberei und Superkräfte auskommt.

Der Star dieses Kinojahres wird Wickie sein. Dabei schien das Kerlchen schon ein Dasein als zwar bekannter, aber im Ehrenrat der zeitlosen Klassiker doch etwas in den Hintergrund gedrängter Held zu fristen. Mit der Rotznase Bart Simpson konnte der Wikingerjunge zuletzt nicht mithalten.

Jetzt kommt aber "Wickie und die starken Männer" in die Kinos. Verfilmt von Michael "Bully" Herbig, der mit seinen Parodien sagenhafte Erfolge zu feiern pflegt. Gemessen an den früheren Arbeiten hat Herbig mit "Wickie" einen ganz ernsthaften Film gedreht. Denn der clevere Wikingersohn, der ab morgen über die großen Leinwände segelt, wird von Herbig nicht auf die Schippe genommen. Im Gegenteil ist seine "reale" Adaption des Comicstoffes mit echten Menschen - eine Auftragsarbeit für Constantin-Film - eine originalgetreue Arbeit, die der Figur "Wickie" keiner ihrer wunderbaren Eigenschaften raubt. Und warum das alles? Weil Wickie eben vor allem eines ist: ein Vorbild, geschnitzt nach den Regeln und Tugenden, die jede sinnvolle Pädagogik in den Mittelpunkt ihrer Lehre stellt.

Wickie ist ein Klassiker des Kinderfernsehens. Sein Charme hat über Generationen auch Erwachsene in seinen Bann gezogen. Als am 31. Januar 1974 im ZDF die erste Folge über die Mattscheibe flimmerte, sahen die Zuschauer einen kleinen Helden, der mit spinnerten und skurrilen Kameraden immer gut ausgehende Abenteuer erlebte. Die waren noch dazu witzig, unterhaltsam und in jeweils 23 Minuten auserzählt. Die 78 Folgen der animierten Serie, deren Ästhetik den asiatischen Manga-Comics nachempfunden war, liefen weltweit erfolgreich, in Deutschland zwölfmal im ZDF und neunmal auf Kika (für alle Nichteltern: Kinderkanal). Wickie ebnete den Weg für weitere in Japan gezeichnete Comicfiguren: Heidi (seit 1977) und Biene Maja (seit 1976) liefen ähnlich erfolgreich. In den 90ern waren die Pokémons populär.

Die deutsch-japanisch-österreichische Koproduktion fußte im Übrigen auf einer schwedischen Kinderbuchreihe. Die hieß "Vicke Viking" und stammte von einem gewissen Runer Jonsson, wie uns der "Wickie"-Eintrag der Internet-Enzyklopädie Wikipedia verrät. Die Namensgleichheit von Abenteuerfigur und Nachschlagewerk (Wikipedia wird von seinen Nutzern nur "Wiki" genannt) führt auf die richtige Spur, was die Frage nach dem Grund für die Faszination des wiederentdeckten Helden anbelangt. Denn der kleine rotblonde Wikinger, der mit seinem Vater Halvar, dem Dorfhäuptling, und dessen Schiffsmannschaft auf großer Fahrt in gefährliche Abenteuer segelt, ist ein Siegertyp, dessen Botschaft zutiefst human ist.

Er möchte eigentlich niemandem etwas zuleide tun - noch nicht einmal dem Schrecklichen Sven, der einer Bande von Primitivlingen vorsteht. Wickie, der furchtsame und vorsichtige Menschenfreund, besiegt seine Gegner mit List und Verstand. Er ist ein wandelndes Lexikon, der auf alles eine Antwort weiß. Dabei entwickelt er seine Lösungen immer erst dann, wenn ihm eine Aufgabe gestellt wird. Dreimal Nase reiben, einmal mit dem Finger schnipsen - und dann ist er da, der Sternenregen aus Geistesblitzen, entsprungen einem Gewölk, das Hirn heißt. Toll. Mögen andere auch größer, stärker, gemeiner sein: Wer nachdenkt, kommt ans Ziel.

Das ist die einfache Botschaft des Stoffes. Sie hat die Jahrzehnte überdauert. Wer heute Wickie und sein Treiben beobachtet, dem fällt unweigerlich auf, wie sympathisch sein Durchsetzungsvermögen ist. Weil er sich nämlich nicht aufplustert und egoistisch nur an sein eigenes Fortkommen denkt. Wickie ist ein soziales Wesen, das sich als Teil der Gruppe begreift und mit Einfühlungsvermögen jedem seine Würde lässt. Aber weil auch die nordische Gemeinschaft von anno dunnemals eine Leistungsgesellschaft ist, steht der junge Nachwuchs-Wikinger durchaus unter Profilierungsdruck. Dem hält er stand, indem er seine eigenen Stärken nutzt. Aber auch nur genau die - wie anders dagegen der Held einer anderen Comicserie. Asterix ist in dieser Lesart der gedopte Leistungsträger, der zum Sieger nur durch unwirkliche Kräfte wird. Einen Zaubertrank hat Wickie nicht nötig.

Der saugt seine Kraft vielmehr aus seinem sehr modernen Mix von Charaktereigenschaften und Qualifikationen. Als die deutschen Auftraggeber die in Japan gezeichneten Animationen das erste Mal sahen, rieben sie sich irritiert die Augen - der Knabe hatte asiatische Gesichtszüge. Und ob er wirklich ein Knabe ist, wird von manchen Deutern noch heute bezweifelt. Wickie könnte rein äußerlich auch ein Mädchen sein. Das passt, weil seine Fähigkeiten - Empathie, emotionale Intelligenz - eher dem Weiblichen zugeschrieben werden.

Auf der Lübecker Freilichtbühne wird der kleine Schlauberger tatsächlich von einer Schauspielerin dargestellt. "Hey, hey, Wickie. Hey Wickie, hey!" (der Song von Christian Bruhn wurde ein bekannter Schlager) - also in Wahrheit nur Mädchensache? Nach Bibi Blocksberg und der Roten Zora ein weiterer weiblicher Held? Was bliebe den kleinen Jungs da heute noch - so zwischen Müttern, Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen? Superman hat Superkräfte, Spiderman kann auch, was sonst keiner kann, und Power-Ranger, diese Roboter-Mensch-Kampfmaschine, taugt ja in Wahrheit auch nicht als tolles Vorbild. Alles nur Zombies und Kunstmenschen. Kein Muster für das wirkliche Leben.

Aber da sind noch die Väter der kleinen Jungs, und die wissen es ganz genau: Hey, hey, Wickie, ... - "die Lösung fällt ihm gar nicht schwer". So heißt es in dem Lied, das sie schon in den 70ern auswendig kannten und das heute wieder im Kika zu hören ist. Also ein Junge, eindeutig! Und einer, der den starken Männern zeigt, wie es geht: Der die Wölfe nicht mit der Keule besiegt, sondern sie in eine Falle lockt. Oder der beim Steine-Wettwerfen selbst gegen einen superstarken Gegner gewinnt, indem er Hebelkräfte geschickt ausnutzt. Eben mehr Hirn als Muskeln einsetzt. Smart ist er, würde man heute sagen. Und nett und witzig. Am Ende lachen alle - auch der böse Feind, der dann doch nicht so gemein ist, wie es zunächst aussah.

Wickie gewinnt nicht nur, er kann auch versöhnen. Er ist daher mehr Kumpel als Sieger und damit das von Eltern erhoffte Vorbild auf dem Weg in das große Abenteuer, das Erwachsenwerden heißt. Dazu braucht man eben keinen starken Supermann und auch keinen schwülstig überhöhten Blutsbruder Winnetou.

Deshalb ist Wickie so cool, dass "Bully" Herbig gar nicht anders konnte, als auf eine Parodie zu verzichten. Bei Winnetou hat er das noch machen können. Bei Wickie hätte ihm das keiner verziehen. Kleine Jungs nicht, ihre Schwestern nicht und die Väter schon gar nicht.