Aus alten Wave-Schlagern neue Hits zaubern passt durchaus zum kritisch beleuchteten Konsumthema des diesjährigen Kampnagel-Sommerfestivals.

Hamburg. Auch wenn sich die Mitglieder der französischen Band Nouvelle Vague mit ihrem ausverkauften Auftritt auf Kampnagel vor allem als Stimmungskanonen erwiesen. Das liegt zuerst an der Präsenz der Frontfrauen. Die mit einer hinreißenden Lolita-Stimme gesegnete Melanie Pain konterkariert mit den Hüften wiegend die destruktiven Wave-Klassiker "All My Colours" von Echo & The Bunnymen oder Joy Divisions "Love Will Tear Us Apart".

Nicht weniger lasziv tritt die dunkelstimmige Nadeah Miranda im Glitzerfummel hinters Mikrofon. Bei "Blister In The Sun", im Original von den Violent Femmes, wird sie vollends zur geisterhaft gestenreichen Medusa.

Derart ironisch gebrochen entsteht aus den abgehangenen Hits ein eigenständiges Kunstprodukt, das inzwischen weniger auf schmeichelnden Bossa nova als auf raue Americana-Klänge setzt. Die Nouvelle-Vague-Vordenker Marc Collin und Olivier Libaux halten sich an Keyboards und Gitarre dezent im Hintergrund. Ihre Retro-Arrangements, effektiv ergänzt um Kontrabass und Schlagzeug, mögen sich ähneln. Die Auswahl birgt Abwechslung genug. Als Melanie Pain schließlich den Grauzone-Evergreen "Eisbär" anstimmt, schwooft die Menge vor der Bühne schon längst im frankophilen Fieber. Mehr als eine Feier der Nostalgie.

Zu einer Geisterstunde der anderen Art lädt Massimo Furlan aus Lausanne. Kleine Kinder stehen verlassen in einem dunklen Niemandswald. In kurzen, schockhaften Begegnungen sind sie liebevollen und Rabenmüttern ausgeliefert, begegnen einer Harfe spielenden Blauen Fee, zwei Revuegirls oder einem beschützenden Riesenbaby. Aus diesen Bildern schnitzt der gebürtige Italiener seine albtraumhafte Theaterinstallation "Sono Qui Per L'Amore". Die Ästhetik bemüht sich, in der Erzählung von Liebe, Tod und Zurückgeworfenheit auf die Existenz das Schreckens-Kino eines David Lynch zu zitieren, bleibt aber seltsam beliebig. Die Magie verpufft.

Ziemlich tote Hose in der City. Bis die etwa 300 Leutchen beim Filmspaziergang in die halbdunklen Flaniermeilen mit den Edelläden einfielen. Was wie eine Demo gegen die Karstadt-Pleite aussah, entpuppte sich für staunende Passanten als kostenlose Kurzfilmnacht beim Schaufensterbummel. Zu sehen waren kritische Beiträge über Kommerz und Konsum - genau am richtigen Ort. "A Wall Is The Screen" ist durchaus wörtlich zu nehmen. Das wieselflink und hell agierende Kollektiv macht jede Wand zur Leinwand. Am Kaufhaus-Portal erinnerte es mit einer Wochenschau von 1962 sarkastisch an seelige Wirtschaftswunderzeiten. Schattenseiten des Geschäfts beleuchtete tragikomisch Lars Henning in "Security" mit dem Ex-Thalia-Star Peter Kurth als Wachmann. Er schnappt eine hübsche Kundin beim Klauen, tappt aber selbst in die Falle. "Die Seele des Geschäfts" aus Argentinien entpuppte sich als parodistisches Markengemetzel eines Reklame-Ehepaars. Und dass "Amerika singt", wenn die freie Wirtschaft am 1. Juli 1990 die DDR erobert, war klar: Die Farce vom T-Shirt-Verschleudern am Alexanderplatz hatte bittere Komik.

Genau wie die Modenschau "Attitude" zuvor auf Kampnagel. Schönheit und Selbstironie schließen sich offenbar aus. Die Models in der von Jochen Roller inszenierten Show von "Green Fashion" , hergestellt nach ethischen und ökonomischen Prinzipien, verzogen keine Miene zu den gar nicht mal so bös subversiven Spielchen der fünf Tänzer. Ewig glattes Gesicht wahren ist oberstes Gebot — auch beim multifunktionalen T-Shirt-Falten und Cat-Walk-Laufen in den hübsch verknautschten Hosen.

Weiter geht es beim Sommerfestival auf Kampnagel in dieser Woche mit dem Konzert des Berliner Exil-Kanadiers Mocky und seinen Easy-Jazz-Spielereien (25.8., 21 Uhr). Ab Mittwoch präsentiert der gefeierte israelische Choreograf Ohad Naharin mit der Batsheva Dance Company die neue Produktion "Max" (26.-28.8., 21 Uhr). Den dritten Teil seiner "Trilogy on Human Nature" zeigt Jan Lauwers & Needcompany mit "The Deerhouse" (27.-29.8., 20 Uhr).

Internationales Sommerfestival noch bis 30.8., Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten: T. 27 09 49 49 oder www.kampnagel.de