Nach der schwungvollen Eröffnung ging es am Wochenende beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel mit Aufführungen und Vorträgen zu Konsum und Kapitalismuskritik politisch zur Sache.

Hamburg. Die amerikanische Predigertradition erscheint uns hierzulande ja durchaus befremdlich. Ungleich mitreißender kam da die "Stopf-Shopping-Messe" des New Yorker Aktionskünstlers Reverend Billy daher. Mit drei stimmgewaltigen Sängerinnen seines "Life After Shopping Gospel Choirs" im Schlepptau, zog er wippend und singend in die Halle ein. Doppelbödig warb der gewitzte Aufrührer, Globalisierungsgegner und Kandidat der Grünen für das New Yorker Bürgermeisteramt um Einsicht in begangene Kaufsünden, nahm mit vollem Körpereinsatz "gebeichtete" Kreditkarten entgegen und erteilte unter allerlei "Halleluja"-Rufen den erleichterten Besuchern Absolution. Ein Beispiel für die gelungene Verbindung aus Missionierung und Unterhaltung.

Weiterhin zu konsumieren und nur zuzuschauen halten auch die Wissenschaftler Saskia Sassen und Richard Sennett ("Der flexible Mensch") für keine Lösung. Das Soziologenpaar sprach und diskutierte mit Autor Mathias Greffrath in der vom Publikum gestürmten, leider nur zu kurzen Vortragsveranstaltung zum Thema "Capitalism in Crises. What's next?". Die "eingreifenden Intellektuellen" (Greffrath) halten einen Umschwung im Denken und in den politischen Strukturen für notwendig.

"Die Finanzkrise ist in Wahrheit eine Krise der Arbeit", meinte Sennett. "Die Politiker retten die Banken, anstatt die Arbeitsprobleme zu lösen", kritisierte er. Für Arbeitsprogramme blieben nur Pennys übrig. Der Wert der Arbeit müsse wieder entdeckt werden, die Kooperation statt des Wettbewerbs, von dem nur wenige profitierten. Die plausible Forderung des "pragmatischen Philosophen", zu kleineren, lokalen Geschäftsformen zurückzufinden, klang zwar utopisch, wurde aber von Sassen geteilt. "Die Nahrungs- und Umweltprobleme erfordern regionale Lösungen und die Wiedereingliederung der Menschen", sagte sie und fragte: "Wie benutzen wir die Kapazitäten in den vorhandenen komplexen Systemen, ohne sie deshalb zerstören zu müssen? Wie bringen wir die Menschen zusammen und zum Handeln?"

Lola Arias gab in ihrem dokumentarischen Erzähltheater "Mi Vida después" ("Mein Leben danach") ein plastisches Beispiel dafür, wie politische und wirtschaftliche Bedingungen individuelles Schicksal bestimmen, Menschen zerstören, aber auch zum Widerstand motivieren. Sechs Schauspieler rollen ihre Biografien und die ihrer Eltern auf. Sie sind in den Wirren der 70er-Jahre aufgewachsen, der unsicheren Zeit der Militärdiktatur, des "schmutzigen Krieges", in der Menschen einfach verschwanden - wie der Vater von Mariano, ein politisch engagierter Journalist und Autoliebhaber. Auf der Suche nach sich selbst schlüpfen die Darsteller ihres eigenen Lebens in die Kleider der Väter, um ihren Geheimnissen und Lügen auf die Spur zu kommen. Vanina, Tochter eines Geheimagenten, und ihr "Bruder" entdecken, dass er vom Vater als Baby geraubt worden war.

Die Reise in die Erinnerungen - dargestellt und lebendig vergegenwärtigt in Spielszenen wie auch durch Filme, Fotos oder Andenken - erzählt ebenso von den Hass- und Liebesbeziehungen zwischen Eltern und Kindern. Aber auch von ihrem Vorbild, das eigene Leben mutig in die Hand zu nehmen, für sein Glück zu kämpfen - um den riskanten Preis von Exil oder Tod.

Internationales Sommerfestival bis 30.8., vom 19.-21.8. (jew. 21 Uhr) gastiert Mathilde Monniers Tanzstück "tempo 76"; der Vortrag von Ulrich von Weizsäcker (20.8., 19.30 Uhr) muss entfallen. Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten T. 27 09 49 49, www.kampnagel.de