Festivalleiter Matthias von Hartz bot mit dem Auftakt-Spektakel einen Ausblick auf die vielfältigen Programm-Linien bis 30. August.

Hamburg. Zum Empfang der Besucher leuchtete einladend die sinkende Sonne über den Fabrikhallen. Und in der Nacht erhellten Hunderte von Scheinwerfern und bunten Lämpchen das Gartengelände mit dem Festivalzentrum. Errichtet auf einem Teppich aus weichem, braunem Rindenmulch. Ein stimmungsvoller, doch leider etwas kühler Sommernachtstraum. Die computergesteuerte Wassertropfen-Installation von Julius Popp formte funkelnde Wortkaskaden in der Abendluft. Zur belustigten Verwunderung der Besucher perlten die Zitat-Fetzen aus der medialen Nachrichten-Flut wasserfallartig in den Osterbekkanal.

"Wir wollen ein Festival für die Stadt und in der Stadt machen", empfing Matthias von Hartz charmant seine Gäste. Zum zweiten Mal leitet der Regisseur das Internationale Sommerfestival Hamburg. Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard begründete den veränderten Titel des Festivals mit dem interdisziplinären Programm: "Es bietet das ganze Spektrum der Künste und wirkt in die Stadt hinein."

Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser bot noch vor den beiden Eröffnungspremieren ein plastisches Beispiel für Aktionskunst. Sie hatten eine "Produktionsstraße" errichtet und montierten Autos zu Fahrrädern. Mit den Künstlern und ihrer ironischen Kritik an der Abwrackprämie hatten Matthias von Hartz und Martina Stoian das Gelände in einen die Krisenzeiten augenzwinkernd kommentierenden Kunst-Parcours verwandelt, der sich innerhalb der Hallen mit pinkfarbenen Spruchbändern fortsetzt.

Eigentlich ist ja das ganze Sommerfestival angelegt wie ein einziger großer Kunst-Freizeitpark. Doch Vergnügen muss nicht immer mit straffer Action zu tun haben und für manches braucht man - Geduld. Davon bringen die sechs mittelalten Hardrocker in "La Mélancholie des Dragons" von Philippe Quesnes Vivarium Studio jede Menge mit. Mit ihrem Citroen gestrandet in einem verschneiten Zauberwald, führen sie einer Passantin ihren Freizeitpark zum Thema "Drachen" vor. Der sieht so aus, dass erst eine Menge Dosenbier fließt, eine Menge Rockmusik erklingt und eine "unsichtbare Band" in Form von sieben Langhaarperücken in einem Anhänger zu einer Lichtorgel tanzt. Quesne zelebriert seine gewollt armseligen Spezialeffekte in einer manchmal strapaziösen Langsamkeit. Seine trägen, leicht schwermütigen Bilder fordern die Fantasie der Zuschauer aufs Schärfste. Und sind doch von anrührend kindlichem Charme.

Dynamisch suggestive Tanz-Bilder entfesselt Emio Greco für seine von Dantes "Inferno" inspirierte Reise in die Hölle. Als dämonischer Tanzteufel lässt er jedoch sein Ensemble und die Zuschauer in "Hell" etwas zu ausführlich in den Wiederholungsschlaufen der sich dahinwindenden und aufbäumenden Bewegungsfolgen zappeln. Gelungen ist ihm das Täuschungsmanöver zu Beginn: Fetziger Mambo lässt die Zuschauer auf eine tolle Show hoffen. Satanischer Trick. Das Lampentor führt direkt ins Dunkel, wo die Tänzer, erfasst von wandernden Lichtkegeln, sich in der Gruppe und doch einsam abquälen. Greco deckt die Abgründe in einer auf Spaß versessenen Gesellschaft auf, aus der kein Entkommen möglich ist. Dafür flüchten etliche Zuschauer - spätestens beim Nackttanz zu Beethovens Schicksalssymphonie. Das "Pochen des Schicksals" wirkt im Vergleich zum übrigen Soundtrack harmlos, die Jagd im Adams- und Eva-Kostüm nach dem verlorenen Paradies nur unfreiwillig komisch.

Wer glaubte, Grecos "Hell" entkommen zu sein, wenn er in Christoph Schlingensiefs "Animatograph" Zuflucht sucht, findet sich auf einer Drehbühne kreiselnd mitten im Chaos und Wahnsinn der Welt wieder. Schlingensief durchstreift in seiner Installation aus Zitaten von Bildern, Filmloops und Texten den Erdball zwischen Island, Thailand und Afrika. Rot beschmierte Wände, Schriftzüge und das Sammelsurium von Zitaten aus der "Edda"-Sage und Parolen ("Ich will das Parlament zerstören") erinnern an Jonathan Meeses plakative Kunstaktionen. Nur dass Schlingensief eher in eine Geisterbahn entführt, in der das Auge des Betrachters zur Kamera für den eigenen Kopffilm wird.

Laute, saftige Beats nach so viel konzentrierter Aktionskunst gibt's zu später Stunde in der Live Music Hall. Hier ist Shunda K, eine Hälfte des lesbischen Rapduos Yo! Majesty aus Florida, allein mit DJ angereist. Die Rapperin ringt mit einem völlig übersteuerten Sound und brüllt dagegen bis kurz vor die Ohnmacht mit "Give me some!" an. In einer Mischung aus Ghetto Talk und orgiastischem Urschreigehabe wirkt sie zu den dumpf bumpernden Crunk-Beats eher wie eine Boxerin im Ringkampf als die Queen eines derzeit als innovativ gefeierten Hip-Hop-Projekts.

So manchen Besucher zieht es dann doch lieber hinaus aufs lauschige Festivalgelände, wo auch zu später Stunde Lammwürstchen an Erdbeerbowle die Festivallaune heben. Und das war ja erst der Einstieg in zweieinhalb Wochen interdisziplinärer Kunsterlebnisse. Am Wochenende gibt es zwei weitere Vorstellungen der "Mélancholie des Dragons" (15./16.8., jew. 21 Uhr). Die argentinische Theatermacherin Lola Arias führt ihre poetische Diktatur-Reflexion "Mi Vida después (15./16.8., jew. 19.30 Uhr) auf. Futter für das theoretische Festivalgerüst liefern Saskia Sassen und Richard Sennett in einem Gespräch über "Capitalism in Crisis. What's next?" (15.8., 19.30 Uhr).

Internationales Sommerfestival : bis 30.8., Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de