Für seinen neuen Film “Mitte Ende August“ ließ Sebastian Schipper sich von Goethes “Wahlverwandtschaften“ inspirieren.

Hamburg. "Durch das Reich der heiteren Vernunftfreiheit" ziehen sich unaufhaltsam "die Spuren trüber leidenschaftlicher Notwendigkeiten". Goethe. Seine Poesie lässt vergessen, dass er den Begriff der "Wahlverwandtschaften", nach dem er seinen Roman von 1809 benannte, aus der Chemie entlehnt hat. Zu nüchtern wirkt die Vorstellung, das anziehende und abstoßende Verhalten von Naturelementen könne Gemeinsamkeiten mit dem Liebesverhalten der Menschen aufweisen.

Genau 200 Jahre ist es her, dass der Roman erschienen ist, jetzt hat der Regisseur Sebastian Schipper (dessen Regiedebüt "Absolute Giganten" zu den allerschönsten Hamburg-Filmen zählt) sich für seinen neuen Kinofilm vom alten Geheimrat Goethe inspirieren lassen. "Mitte Ende August" heißt das Ergebnis, das ab Donnerstag mit Marie Bäumer und Milan Peschel in den Hauptrollen in die Kinos kommt. Von Goethe allerdings hat Schipper nur die Grundzüge übernommen. Seine sehr heutige Beziehungsstudie erinnert den regelmäßigen Kinogänger zunächst eher an Maren Ades erfolgreichen Berlinalebeitrag "Alle Anderen" mit Birgit Minichmayr als an Goethe: die Geschichte eines eigentlich irgendwie glücklichen Paares, das sich in der Sommerfrische ohne Not kurz abhandenkommt.

In "Mitte Ende August" signalisiert schon der Titel eine gewisse Unverbindlichkeit. Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel, dem die Rolle von Schipper auf den Leib geschrieben wurde), renovieren ein einsames Haus auf dem Land. Sie sind sich selbst genug, bis Thomas seinen unglücklichen, weil frisch verlassenen Bruder Friedrich (André Hennicke) einlädt und Hanna ihre erblühende Patentochter Augustine dazubittet. Der Sommer, der Wein aus den Tetrapacks, die philosophischen Gespräche und das in mancherlei Hinsicht fehlende reinigende Gewitter, vielleicht auch einfach die Langeweile der Zufriedenen - die Gäste bringen das eingespielte Koordinatensystem des Paares durcheinander. Man könnte auch sagen: "Durch das Reich der heiteren Vernunftfreiheit" ziehen sich "die Spuren trüber leidenschaftlicher Notwendigkeiten".

Sebastian Schippers Zugang zu Goethe prägt dabei statt Ehrfurcht eine selbstbewusste Lässigkeit. Sein Leitsystem durch den Roman sei das des lustvollen Diebes gewesen, nicht das des Kenners, sagt er: "Ich bin in die große Villa ,Wahlverwandtschaften' hineingegangen und habe alles geklaut, was mir gut gefallen hat."

Gegenwart statt Reclam-Strenge, ein assoziativer Zugang, der nicht nur die alltäglichen Beziehungskrisen der deutschen Thirtysomethings genau beobachtet, sondern durchaus Lebensweisheiten bereithält: "Die Wahrheit ist das, was passiert, nicht das, was man sich vorstellt" ist eine, nüchtern verkündet von Thomas' Bruder Friedrich. Eine Einstellung, die Filmschaffende verständlicherweise etwas anders sehen. "Ein Brei-Satz" sei das, winkt Marie Bäumer ab: "Meine Realität ist immer das, was ich mir vorstelle." Berufskrankheit.

Ihre Filmfigur Hanna hingegen hält sich lieber an eine jener Gebrauchsanweisungen, die so oder ähnlich gern in Jugend- oder Frauenzeitschriften propagiert werden: "Wir müssen uns endlich entscheiden, ganz einfach." Bloß: Wie (und warum) soll eine Generation, der beruflich und geografisch alle Endgültigkeit ausgetrieben wurde, der Flexibilität als erstrebenswerteste Tugend eingebimst wurde, sich ausgerechnet in ihren Beziehungen festlegen?

Schippers Sommerfilm zeichnet eine flirrende Schwerelosigkeit aus, ohne je die Tiefe und das Drängende des wahren Gefühls zu unterschätzen. Anders als Maren Ade, die in "Alle Anderen" die lächerlich ermüdende Beziehungsschlacht im Ungefähren seziert, wird Schipper in "Mitte Ende August" existenzieller. Liebe, findet der Regisseur, sei schließlich "kein kleines Larifari-Prenzlauer-Berg-Thema". Weshalb ihm besonders wichtig war, dass in seinem Film so grundsätzliche Gefühle wie Sehnsucht und Verzweiflung "von den Figuren nicht kleingequatscht" werden. "Diese kargen Arthouse-Filme zum Thema gibt es ja schon. Mich interessiert der lyrische Diskurs."

Besonders stolz ist Schipper daher auf eine Auszeichnung: den ersten Preis bei einem Liebesfilm-Festival. In Frankreich, ausgerechnet, wo l'amour ja praktisch erfunden wurde. Da er nicht persönlich zur Verleihung kommen konnte, wurde Schipper gebeten, per SMS eine kurze Grußbotschaft zu senden. Seine Begabung für das große Gefühl unterstrich er souverän auch in der kleinen Form: "Liebe ist nicht perfekt", simste er. "Liebe ist komplett." Wer braucht denn da noch Goethe.

Mitte Ende August startet morgen in den Kinos. Sebastian Schipper ist am 5. August, 20 Uhr, im Abaton zu Gast.

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