Erinnerungen: Übervater Thomas behandelte ihn mit Kälte - die Literatur-Kritik mit Häme

Klaus Mann - die Tragödie eines Sohnes

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Helmut Söring

Nie besaß er eine eigene Wohnung. Die Mutter schickte ihm das Geld für Kokain sogar nach Amerika. Mit 42 ging er in den Tod. Hätte er geahnt, dass sein "Mephisto" mal ein Bestseller werden würde . . .

Hamburg. "Er war aus drei Gründen unglücklich: Er war der Sohn von Thomas Mann - und das war schon eine sehr schwierige Sache, der Sohn eines so berühmten Mannes zu sein. Er war homosexuell. Er war süchtig und hat Drogen genommen." So äußerte sich jetzt der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki über Klaus Mann, der am kommenden Sonnabend vor hundert Jahren in München geboren wurde. Nimmt man alles nur in allem, kommt ein Viertes hinzu: Der älteste Sohn des "Buddenbrook"-Autors war schon von Jugend an suizidgefährdet, darüber darf das wilde, schillernde Leben des Frühbegabten in den 20er-Jahren nicht hinwegtäuschen. So handelt ein Drama des Elfjährigen, "Tragödie eines Knaben" betitelt, vom Selbstmord eines Schülers. Am 21. Mai 1949 ist Klaus Mann an einer Überdosis Schlaftabletten an der französischen Riviera in Cannes gestorben.

Mit 17 verließ er das Elternhaus an der Münchner Poschingerstraße. Das Verhältnis zum berühmten Vater, den "Zauberer", beschrieb er später so: "Empfinde wieder sehr stark, und nicht ohne Bitterkeit, Z.'s völlige Kälte mir gegenüber. Ob wohlwollend, ob gereizt (auf eine sehr merkwürdige Art ,geniert' durch die Existenz des Sohnes): ,niemals' interessiert, ,niemals' in einem etwas ernsteren Sinn mit mir beschäftigt. Seine allgemeine Interessenlosigkeit an Menschen, hier besonders gesteigert." Dies sollte ein Leidmotiv seines Lebens bleiben.

Nachdem er als 19-Jähriger seinen ersten Text in Siegfried Jacobsohns "Weltbühne" untergebracht hatte, kannte seine Produktivität keine Grenzen. Innerhalb von sieben Jahren schrieb er zwei Theaterstücke, drei Romane, drei Erzählungsbände und eine Autobiografie, dazu Essays und Reisereportagen.

"Was für die ,Weltbühne' eine kleine Sensation bedeutete, war für mich aber wahrscheinlich der entscheidende Fehler meiner jungen Karriere", erkannte er später, "denn von nun an war ich in den Augen einer ,literarischen Welt', die in Deutschland noch etwas hämischer und eifersüchtiger ist als anderswo, der naseweise Sohn eines berühmten Vaters, der sich nicht entblödet, den Vorteil seiner Geburt geschäftstüchtig und reklamesüchtig auszunutzen."

Die damalige Häme hatte es im Vergleich zur heutigen Literaturkritik in der Tat in sich: "Ein Drama von Bronnen, ein Roman von Klaus Mann - das gleicht einander wie ein geplatztes Kloakenrohr dem anderen", pöbelte die "Schöne Literatur", Bert Brecht nannte "Kläuschen" Mann ein "stilles Kind, das wieder im Mastdarm des seligen Opapa spielt", und Kurt Tucholsky lästerte: "Klaus Mann hat sich bei der Verfassung seiner Hundertsten Reklamenotiz den Arm verstaucht und ist daher für die nächsten Wochen am Reden verhindert."

Mit seiner Lieblingsschwester Erika, die ein Jahr älter war als er, ging Klaus Mann auf Weltreise (man könnte es auch als sympathische Schnorrer-Tour bezeichnen; die Schulden mussten später aus dem Nobelpreis-Geld des Vaters beglichen werden), und mit ihr spielte er seine "Revue zu Vieren", die 1927 an den Hamburger Kammerspielen Premiere hatte. Mit von der Partie waren Gustaf Gründgens und Pamela Wedekind, die Tochter des "Lulu"-Autors Frank Wedekind. Die Kritiken waren vernichtend. "Revue zu Vieren! Könnte auch auf allen Vieren heißen", höhnten die "Hamburger Nachrichten". Aber das tat dem allgemeinen Spaßvergnügen keinerlei Abbruch: Gründgens heiratete Erika, und Klaus verlobte sich mit Pamela. Die Ehe hielt drei Jahre, die Verlobung ein paar Monate.

Die Nazis machten all dem ein Ende. 1933 emigrierten die Mitglieder der Mannschen Familie bis auf Viktor, den jüngsten Bruder Thomas'. Klaus ging nach Amsterdam, wo er mit der Gründung der "Sammlung", erschienen in Fritz Landshoffs Querido-Verlag, die bedeutendste Exilliteratur-Zeitschrift der NS-Zeit herausgab. Es war die wichtigste Phase seines Lebens; Klaus Mann hatte eine Aufgabe, seine Art von Widerstand war anerkannt und wurde gehört. Indirekt war "Die Sammlung" der Auslöser von Thomas Manns Nazi-Gegnerschaft. Der Nobelpreisträger hatte in der Zeitschrift bis 1936 nichts veröffentlicht, weil er fürchtete, die Nazis würden seine Bücher, die immer noch in Deutschland verkauft wurden, verbieten. Erst als Erika drohte, sie wolle "nicht mehr seine Tochter sein", wenn der Vater sich nicht eindeutig äußerte, erhob Thomas Mann endlich seine Stimme.

Klaus Mann aber, der Zeit seines Lebens keine eigene Wohnung besaß sondern immer bei Freunden, in Hotels oder Bahnhöfen schlief, sollte keine Ruhe mehr finden. Paris, die Côte d'Azur, schließlich - nachdem die Wehrmacht Westeuropa besetzt hatte - die USA. Immer wieder musste Mutter Katia mit Dollars aushelfen, selten für den Lebensunterhalt, immer öfter für Haschisch, Kokain und Marihuana. Der "Zauberer" durfte davon nichts erfahren, genauso wie von der Liaison Erikas mit dem 30 Jahre älteren Dirigenten Bruno Walter, dem früheren Münchner Nachbarn.

Klaus ging zur US-Army und kehrte 1945 als "Stars and Stripes"-Reporter nach Deutschland zurück. Hier hatte man anderes im Sinn, als die NS-Vergangenheit zu diskutieren: "Das Einzige, was den Deutschen leidtut, ist der verlorene Krieg", erkannte er verbittert.

Trotz seiner immensen literarischen und journalistischen Produktion fanden seine Bücher in der Bundesrepublik kaum Verbreitung; bis zu seinem Tod wurde keines von ihnen neu aufgelegt. Und Klaus Mann musste miterleben, wie der Mann, den er in seinem Roman "Mephisto" als schlimmen Nazi-Karrieristen beschrieben hatte, einen neuen Aufstieg nehmen konnte: Gustaf Gründgens, der einstige Schwager. Das Buch blieb auf Antrag von Gründgens' Adoptivsohn Peter Gorski als "Schmähschrift in Romanform" jahrelang in der Bundesrepublik verboten. Nur der DDR-"Aufbau"-Verlag brachte eine komplette Ausgabe.

1979 verfilmte Istvan Szabo mit Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle "Mephisto" und gewann dafür einen Oscar. Darauf druckte der Rowohlt 1981, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Trotz, eine westdeutsche Ausgabe. Der passus delicti freilich, die fiktiven Besuche des Regisseurs Hendrik Hoeffgen (Gustaf Gründgens) bei einer "Halbnegerin" auf St. Pauli, er fehlte darin. Das Buch aber wurde ein Bestseller, bis heute mehr als 800 000-mal verkauft.

Klaus Mann hat es nicht mehr erlebt. Er setzte seinem Leben ein Ende, wie es schon seine Tanten Carla und Julia und wie es Ricki Hallgarten getan hatten, sein Freund von Jugend an. Thomas Mann in einem Nachruf für den geliebt-ungeliebten Klaus: "Seine Sohnschaft mag ihm in der Frühe Spaß gemacht haben; später hat sie ihn belastet." Was die Wissenschaft psychologisch auslegte: Der Vater - selbst latent homosexuell - habe sich in seiner Neigung beherrscht, während der Sohn sie exzessiv auslebte.

Klaus Manns Beerdigung auf dem Cimetière du Grand Jas fand in kleinstem Kreis statt. Klaus' jüngster Bruder Michael - auch er sollte sich später das Leben nehmen - spielte ein Stück auf der Bratsche. Thomas Mann, seine Frau Katia und Erika waren zwar auf einer Europareise, blieben aber in Stockholm.

Die treffendsten Worte fand Golo Mann in seinen "Erinnerungen an meinen Bruder Klaus": "Eine Reihe heterogener Ursachen, Kummer über Politik und Gesellschaft, Geldnot, Mangel an Echo, Drogenmissbrauch addieren sich, aber summieren sich nicht zu dem Ganzen, welches hier der Tod war. Die Neigung zum Tod war in ihm gewesen von Anfang an, er hatte nie alt werden können oder wollen, er war am Ende; günstigere Bedingungen im Moment hätten sein Leben verlängert, jedoch nur um ein geringes Stück. Damit wird nichts erklärt, nur etwas festgestellt."