Der “Tag der Musik“ mit mehreren Hundert Konzerten und Auftritten hat in der Hansestadt vor allem eins gezeigt: Musik verbindet.

Hamburg. Sonnabendmittag im Niendorfer Tibarg-Center. An einem Werbestand läuft die Wiederholung des Holland-Spiels. Mario Gomez tänzelt geschmeidig um orangefarbene Slalomstangen herum. Immer wieder schön anzusehen.

Aber niemand schaut zu. Denn heute, am "Tag der Musik", spielt König Fußball ausnahmsweise nur die zweite Geige. Die erste steht mit ihren Kollegen auf einer Bühne am Eingang des Einkaufszentrums: Dort versammelt sich die Klasse 6c des Bondenwald-Gymnasiums für ihren Auftritt. Mit Geigen, Celli, Saxofonen und anderen Blasinstrumenten bewaffnet, rocken die Schüler das berühmte James-Bond-Thema. "Da dagada da - da da da da daga da da", tönt es über den Markt. Dabei fetzt das Schlagzeug vielleicht ein bisschen zu knackig los. Macht aber nix. Die rund 300 Zuschauer sind begeistert. "Mama, ich möchte auch gern Trommel spielen", sagt ein Mädchen im blau-weißen Ringel-Shirt. Hm. Mama guckt so, als gäbe es da noch Diskussionsbedarf.

"Der musikalische Flashmob verzögert sich um eine halbe Stunde", verkündet der Moderator bei der anschließenden Umbaupause. Schade, schade. Das hätten wir gern erlebt. Aber der nächste Termin ruft schon. Schließlich bietet das dreitägige Festival alleine am Sonnabend über 130 Veranstaltungen - von klassischen Flötenklängen in der Sparkasse über Rockmusik beim Fanfest bis zum Auftritt des Duos TastenZauberSchlag, das seine Hörer in der Zentralbibliothek mit Klavier, Marimba und Schreibmaschine fasziniert.

Epizentrum des Spektakels ist diesmal die Fischauktionshalle mit einem ganztägigen Programm. Am frühen Nachmittag gibt's hier ein besonderes Highlight, als rund 200 kleine Geigerinnen und Geiger aus St. Pauli mit unterschiedlichsten ethnischen Wurzeln die Bühne bevölkern. Wache Blicke, leuchtende Wangen, satte Saitentöne.

Begleitet vom Klavier spielen die Fünf- bis Zwölfjährigen ein Potpourri aus Evergreens wie "Kalinka, Kalinka" oder "Oh, Susanna" und klassischen Stücken. Mittendrin, immer im Blickkontakt mit seinen Schützlingen, streicht Gino Romero Ramirez, der dieses Wunder auf St. Pauli mit seinem Unterricht initiiert hat, und verströmt eine mitreißende Energie. "Man muss die Kinder lieben, dann ist es ganz einfach", erklärt der charismatische Musiklehrer sein pädagogisches Erfolgsrezept.

Auch das Publikum - darunter viele stolze Väter und Mütter mit und ohne Kopftuch - spiegelt den multikulturellen Charakter des Stadtteils. Wenn die Knirpse aus voller Kehle Beethovens "Alle Menschen werden Brüder" singen, möchte man wirklich dran glauben. Musik verbindet. Wer sich davon nicht berühren lässt, ist selber schuld.

Oben, auf der Galerie der Halle, betrachtet Wolfhagen Sobirey das bunte Treiben mit verklärtem Jogi-Löw-Lächeln. "Spüren Sie die Begeisterung? Das ist doch ein wunderbares Erlebnis, für die Kinder und ihre Eltern.", sagt der Präsident des Landesmusikrats. Er hat den "Tag der Musik" 2009 ins Leben gerufen und als jährliches Sommerfest etabliert. "Ich finde es wichtig, dass wir dabei die große Vielfalt des Hamburger Musiklebens abbilden - denn neben der wunderbaren professionellen Szene gibt es hier auch eine sehr breite Basis. Und wir wollen das Festival nutzen, um dieses große Angebot in die Stadt hineinzutragen."

Vorbild für den "Tag der Musik" sind die beliebten Laienmusikfeste "Fête de la Musique ", die seit 1982 in Frankreich stattfinden. "Da ist dann wirklich das ganze Stadtbild von Musik geprägt, an jeder Ecke gibt's irgendein Konzert", sagt ein französischer Kollege, der den Hamburger Musikmarathon mehrere Stunden beobachtet. "Ganz so präsent scheint das Festival hier noch nicht zu sein."

Tatsächlich reagieren viele Hamburgerinnen und Hamburger noch überrascht, wenn ihnen plötzlich an ungewohnten Orten Livemusik entgegenschallt. Wie auf dem Hauptbahnhofsvorplatz an der Kirchenallee, wo das Bläserorchester der Jugendmusikschule spielt. ",Tag der Musik' heißt das? Das ist ja interessant. Hab ich noch nie von gehört.", sagt ein junger Mann, der mit seiner Tochter ein paar Minuten stehen bleibt und gleich den Flyer einsteckt. Das Orchester groovt derweil in einem Rhythmus, bei dem jeder mit muss: Zum Adele-Hit "Rolling In The Deep" tanzt eine sektlaunige Junggesellinnenabschiedstruppe gemeinsam mit zwei begeisterten Obdachlosen, die für Stimmung sorgen: "Ööööi, alle mitmachen!" Musik verbindet, auch hier.

Durch die musizierenden Kinder- und Schülergruppen haben die meisten Veranstaltungen ein auffallend junges Gesicht. Aber der "Tag der Musik" richtet sich nicht nur an eine Generation, sondern ist für alle da.

Beim Dixieland-Quintett High Wheelers in der Wandelhalle, zum Beispiel, bleiben auch einige Senioren stehen. Sie wippen vorsichtig im Takt und applaudieren bei den Soli. Eine grau melierte Dame bekommt ganz glänzende Augen: "Das erinnert mich an den Jazz-Frühschoppen. Den gab es früher in der Altonaer Fabrik. Das müsste in den 70ern gewesen sein."

Jaja, damals, als Günter Netzer noch in die Tiefe des Raumes vorstieß. Aber wir wollten ja heute eigentlich nicht über Fußball reden. Gegen die Übermacht der Tonkunst hat das runde Leder sowieso keine Chance. "Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2010 hören rund 78 Prozent aller Deutschen gerne Musik in ihrer Freizeit. Das heißt, wir haben sogar mehr Fans als der Sport", meint Wolfhagen Sobirey. Vielleicht füllt der "Tag der Musik" ja irgendwann ein ganzes Stadion, wer weiß.

Mitarbeit: Gabriel Lombard