Die Orchestermusiker Katharina Kühl und Winfried Rüssmann haben denselben Beruf - aber stammen aus unterschiedlichen Generationen.

Hamburg. Welche Seite des Kopfes ist günstiger fürs Publikum, die mit Scheitel oder die andere? Für Katharina Kühl, 28, seit 2010 Cellistin im NDR Sinfonieorchester, und Winfried Rüssmann, 68, bis vor drei Jahren Konzertmeister der Philharmoniker Hamburg, gehört auch diese Frage zum Berufsalltag. Bei ihrem Treffen im Rolf-Liebermann-Studio verhandeln sie das Thema augenzwinkernd mit dem Fotografen - und grinsen, als aus dessen Rucksack in einer Ecke des Saals ein Schellen ertönt.

Hamburger Abendblatt: Wenn im Orchester ein Handy klingelt, setzt das Strafe?

Katharina Kühl: Es kommt vor, aber von Strafe weiß ich nichts.

Winfried Rüssmann: Bei den Philharmonikern gibt es einen Gebührenkatalog. In der Probe kostet es 30 Euro, im Konzert 50 in die Orchesterkasse.

Es gibt ja in jedem Betrieb ungeschriebene Regeln. Wer sie nicht beachtet, kann ziemlich ins Messer laufen. Worauf achten die Kollegen im Orchester?

Rüssmann: Als ich 1966 zu den Berliner Philharmonikern kam, war die Regel Nummer eins, sich im ersten Monat bei jedem Kollegen vorzustellen.

Kühl: Aber es ist auch nicht so leicht, den Mittelweg zu finden und freundlich zu sein, ohne sich anzubiedern. Mir hat es sehr geholfen, wenn jemand auf mich zukam und gesagt hat: "Herzlich willkommen, schön, dass du dabei bist."

Rüssmann: Aber was ist mit den 40 Prozent, die das nicht tun?

Welche Regeln gelten beim Spielen?

Rüssmann: Ich habe anfangs bei den Berlinern kaum piano gespielt, denn vom Kammerorchester meines Lehrers war ich gewöhnt, kräftig zu spielen. So was wurde natürlich sofort negativ vermerkt, und man war im Probejahr schon auf einen wohlwollenden Kollegen angewiesen, der einem das steckte.

Kühl: Man merkt ja früh, dass es noch um ganz andere Dinge geht als um das instrumentale Können.

Und der Dirigent ist der Fixstern des musikalischen Geschehens?

Rüssmann: Unbedingt. Schon früher war das so: Man hasste oder verehrte ihn, dazwischen gab's nichts. Wenn es heißt, ein Orchester klingt so und so, ist das ein Schmarren! Der Dirigent bestimmt den Klang des Orchesters.

Kühl: Assoziationen sind hilfreich. Wenn man ein Bild hat, muss man im Idealfall nicht mehr darüber nachdenken, wie ein Klang spieltechnisch umzusetzen ist.

Rüssmann: Karajan sagte immer: "Mir ist egal, welchen Strich Sie nehmen. Aber es soll so und so klingen." Wann hab ich das das letzte Mal gehört?

Wann haben Sie das das letzte Mal gehört, Frau Kühl?

Kühl: In letzter Zeit öfter.

Rüssmann: Das ist ja höchst erfreulich!

Frau Kühl, Sie gehören zu einer Generation von Musikern, deren Niveau schon in jungen Jahren oft unfassbar hoch ist. Können all diese hervorragenden Spieler damit rechnen, eine Orchesterstelle zu bekommen?

Rüssmann: Streicher eher als Bläser. Immerhin gibt es noch annähernd die gleiche Zahl von Orchestern wie früher.

Kühl: Aber mehr Bewerber.

Rüssmann: Ja, auch weil die Hochschulen zu wenig aussortieren.

Kühl: Manche wollen lieber freiberuflich arbeiten. Es gibt mehr und mehr Leute, die sagen, ich will gar nicht ins Orchester, in dieses Korsett.

Rüssmann: Zu meiner Zeit konnte man nicht einfach vom Orchester weggehen und freiberuflich arbeiten. In den 70er-Jahren war das noch ein großes Abenteuer.

Kühl: Ein bisschen ist es immer noch Abenteuer. Natürlich habe ich mit meiner Stelle Sicherheiten, die ein Freier nicht hat.

Rüssmann: Als Sie zur Schule gingen, stand da schon fest, dass Sie ins Orchester wollen?

Kühl: Ich war nicht so ein Turbokind. Das Berufsziel hat sich erst gegen Ende der Schulzeit herauskristallisiert.

Wo sehen Sie denn die Zukunft des Sinfonieorchesters? Stirbt das Publikum aus?

Kühl: Das finde ich zu pessimistisch. Ich glaube, dass man sich, je älter man wird, eher auf klassische Musik einlässt.

Wachsen die Hörer mit steigendem Lebensalter hinein in das, was Sie da leisten müssen in einem Sinfoniekonzert?

Kühl: Es ist natürlich was anderes als ein Dreiminutensong. So was höre ich auch gerne, ich bin ja auch nicht nur auf Klassik. Aber für eine Sinfonie braucht man eben mehr Zeit, man muss sich damit mehr beschäftigen.

Rüssmann: Die Leute werden wohl noch in 100 Jahren in Konzerte gehen. Aber die Veranstalter müssen umdenken. Man sollte auch mal eine Operette von Lehár oder "My Fair Lady" programmieren. Aber nein, lieber "Mathis der Maler", diese schwere Kost! Man muss auch nicht immer "Don Giovanni" aufführen, schöne Perlen bleiben liegen!

Kühl: Ich finde, es muss beides geben. Neue, innovative Sachen und das, was die Leute hören wollen.

Rüssmann: Sehr richtig, aber die Programmmacher glauben immer genau zu wissen, was die Leute hören wollen.

Kühl: Aber wenn die Säle voll sind?

Rüssmann: Sind sie das? "Carmen" ist immer voll, das ist klar. Aber so kann man doch nicht die ganze Saison bestreiten. Auch wenn ich mir die Konzertprogramme anschaue - diese Wiederholungen! Es gibt viele wunderbare Stücke, die ich während dreißig Jahren in Hamburg nie gespielt habe. Das Klavierkonzert von Gershwin zum Beispiel.

Kühl: Das habe ich kürzlich auf Kampnagel gespielt.

Und die Philharmoniker bringen es zum Saisonabschluss.

Rüssmann: So sollte es sein! Meine Rede seit anno Tobak! (lacht)

In unserer Sommerreihe "Generationengespräche" treffen wir jede Woche Künstler und Medienschaffende ganz unterschiedlichen Alters, die sich über Veränderungen und Gemeinsamkeiten austauschen. In den nächsten Wochen folgen u. a. Silberschmiede, TV-Reporter und Schauspieler