“Der Mann, der über Autos sprang“ ist der befremdliche Titel für ein mit Robert Stadlober und Jessica Schwarz wunderbar besetztes Drama.

In diesem Film kriegt man nichts geschenkt. Zu roh und unbehauen wirkt er manchmal, zu felsig und unversöhnlich. "Der Mann, der über Autos sprang" widersetzt sich den gängigen Albernheiten des deutschen Unterhaltungsfernsehens, der immergleichen Läuterung der Figuren. Dafür erlaubt er einen Blick auf (Seelen-)Landschaften, wie man sie sonst selten sieht.

Julian bricht aus einer Berliner Psychiatrie aus und macht sich auf nach Baden-Württemberg. Zu Fuß. Er hat die fixe Idee, damit den kranken Vater seines verstorbenen Freundes retten zu können. Er läuft Ju vor die Motorhaube, einer Assistenzärztin, für deren wackligen Gemütszustand das grässliche Wort Burn-out erfunden wurde, die sich ihm anschließt wie eine Bremer Stadtmusikantin. So laufen sie Kilometer um Kilometer, mit kindlichem, hilflosem Ernst, der an Hänsel und Gretel im dunklen Wald denken lässt - und lange kann man nicht sagen, wo dieser Trip, wo dieses seltsame Pärchen enden wird. Vielleicht ist aber auch in diesem Fall der Weg bereits Teil des Ziels.

Robert Stadlober ist ideal für die Rolle des Julian mit dem ihm eigenen entrückten Blick aus den verwaschen blauen Augen und diesem Strubbelhaar, in dem sich jede Bürste hoffnungslos verfangen würde. Ob man ihn vor der Welt beschützen muss oder vielmehr die Welt vor ihm - eindeutig beantworten kann man die Frage nicht im Film von Nick Baker-Monteys, der bereits in wenigen Kinos zu sehen war. Reden von sich machte er allerdings nach der Tragödie von "Wetten dass ..?", als Samuel Koch bei seinen Sprungversuchen schwer verunglückte. Manch einer plädierte danach für eine Umbenennung des poetisch gedachten Titels - und tatsächlich fällt es schwer, beim Zusehen nicht an den unglücklichen jungen Mann zu denken, der tatsächlich über Autos springen wollte.

Auch Jessica Schwarz, die Kumpelfrau unter den deutschen Schauspielerinnen, ist restlos überzeugend als Frau im freien Fall, über deren angeborene Fröhlichkeit sich ein dunkler Schatten gelegt hat. "Mir fehlt mein Herz", sagt sie ihrem Chef, da, nachdem ein kleines Mädchen an Leukämie gestorben ist, sie keine Trauer spürt. Der guckt sie an, als wollte sie ihm Pferdemist verkaufen. Ein bisschen traurig macht dieser Film auch deshalb, weil er eine Vorstellung davon gibt, wie großartig Schwarz als Romy Schneider hätte sein können - und wie schwach die Drehbuchvorlage sie hat aussehen lassen. Ähnlich wie der Kinoerfolg "Vincent will Meer" ist auch "Der Mann, der über Autos sprang" ein bunter Mix aus Krankenfilm, Märchen und Roadmovie. Baker-Monteys' Film zimmert sich seine eigene Welt - was einerseits befremdlich, weil irgendwie aus dem Takt geraten, wirkt, auf der anderen Seite Gefühle fassbarer macht, anschaulicher, genauer als anderswo.

Eine leise Schwermut ist das einzig konstante Gefühl, das den Film durchzieht. Sonst wird es mal komisch, mal tragisch; wenn Martin Feifel als Borderline-Kommissar ins Spiel kommt, auch etwas prollig. Mit "Halt's Maul, du Pfeife" beendet er seine Telefonate gern, raucht mehr, als dass er redet, und würde einen prima Barmann abgeben, einen Truckfahrer oder sonst einen coolen Hund - aber einen Polizisten?

Optisch erinnert der Film weniger an ein typisches Fernsehspiel als an die stilsicheren, schnörkellosen Geschichtenerzähler des amerikanischen Kinos, Terrence Malick etwa und die Coen-Brüder. Man sieht Bilder von Bahntrassen, die ins Nirgendwo zu führen scheinen, obskure Landstraßen, einen Himmel, der sich wie eine übergroße Dunsthaube in psychedelischen Farben über die Figuren stülpt. Es ist die passende Kulisse für diese Handvoll Menschen, die unterwegs sind zu ihrem Herzen. Auf einer Reise, die von der Vergangenheit über den Tod und den Wahnsinn in die Liebe führt. Eine Amour fou erzählt "Der Mann, der über Autos sprang" - aber nicht an der Liebe wird Julian verrückt, sondern an seiner Schuld, die ihm keiner abnehmen kann.

Zu den Schönheiten des Films zählt die Bedingungslosigkeit, mit der die Figuren nach anfänglichem Zögern ihrem Herzen folgen. Einen weiten Weg haben sie vor sich. Aber an seinem Ende steht vielleicht: ein Fünkchen Glück.

"Der Mann, der über Autos sprang" Freitag, 22.10 Uhr, Arte