Das ZDF dreht derzeit in Berlin den Krimi “Zeugin der Toten“ mit Anna Loos in der Hauptrolle. Das Abendblatt hat die Dreharbeiten besucht.

Berlin. Vermutlich ist Jean Reno der erste "Cleaner" der Filmgeschichte gewesen. In Luc Bessons Thriller "Nikita". Das war 1990. Seitdem weiß man dank einer wahren Flut von Gerichtsmedizin-Serien und Forensiker-Krimis viel über die Bedeutung von Blutmustern auf Tapeten und Fliegenarten auf Leichen. Aber von den Leuten, die den Dreck anschließend wegmachen, erfährt man - sieht man von der mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten NDR-Comedy-Serie "Der Tatortreiniger" einmal ab - normalerweise nichts.

Das sind die Cleaner, und Judith Kepler gehört dazu. Eine junge Frau, die nicht mehr viel erschrecken kann. Denn Kepler ist mit viel DDR-Drill im Heim aufgewachsen, war drogensüchtig, hat schon dreimal im Knast gesessen. Der Putzjob bei "Dombrowski Facility Management" ist alles, was sie kriegen konnte. Jetzt wischt sie hinter einem Mörder auf, der in einer Berliner Altbauwohnung eine Schwedin erschossen hat. Anfangs sieht der Fall aus wie viele andere, aber dann fällt Kepler ein Umschlag mit Dokumenten in die Hände. Es ist ihre verschollen geglaubte Akte aus dem Kinder- und Erziehungsheim Juri Gagarin in Sassnitz auf Rügen. Zuerst glaubt Kepler an einen fantastischen Zufall, dann muss sie feststellen, dass sie beobachtet wird ...

Die wunderbare Anna Loos spielt diese Frau, die zwischen die Fronten von BND und alten Stasi-Agenten gerät, von denen einige 20 Jahre nach dem Mauerfall immer noch bereit sind, für bestimmte Mikrofilme über Leichen zu gehen. Und schon deshalb kann man davon ausgehen, dass der Film, den Network Movie zurzeit im Auftrag des ZDF nach der Vorlage von Elisabeth Herrmanns preisgekröntem Roman "Zeugin der Toten" dreht, aus der Flut der Fernsehkrimis herausragen wird.

Die Kinderheim-Szenen wurden in der vergangenen Woche in Berlin-Johannisthal gedreht. Im ehemaligen "Kinderkombinat A. S. Makarenko", das Katja Havemann, die dort in den 70er-Jahren vorübergehend als Erzieherin gearbeitet hat, schockiert als "Kinderknast" bezeichnet hat. Weil dort nicht nur arme Waisenkinder mit den Errungenschaften des Sozialismus bekannt gemacht wurden, sondern auch Hunderte von Kindern, die das Regime den Eltern aus politischen Gründen auf Nimmerwiedersehen wegnahm. Weil sie gegen die Verhältnisse protestierten, weil sie das Land verlassen wollten. Viele dieser Tragödien wirken bis in die Gegenwart nach, denn viele der Akten hat das DDR-Regime verschwinden lassen. Aber, meint Anna Loos, es sei deshalb kein "Stasi-Stoff", "das wäre zu einfach gesagt".

Die 41-Jährige steht vor dem neoklassizistischen Hauptgebäude, über dessen Portal immer noch das Emblem der Jungen Pioniere hängt. "Man wusste, dass die Mauern hier besonders hoch waren", sagt Loos mit einem Blick über das leicht verwilderte, aber idyllisch wirkende Gelände mit den hohen alten Bäumen und den verlassenen 50er-Jahre-Bauten und fügt dann nachdenklich hinzu: "Ich freu mich für meine Kinder, dass die im Hier und Jetzt aufwachsen."

"Zeugin der Toten" ist die zweite Fernsehadaption eines Herrmann-Krimis. Im Januar hatte das ZDF schon die Verfilmung des Romans "Das Kindermädchen" gezeigt - darin ging es um das düstere Kapitel Zwangsarbeit -, und eine dritte ist geplant. Jutta Lieck-Klenke, die Produzentin der Filme, ist stolz auf die politische Relevanz der Stoffe. "Die zeichnet die Bücher von Elisabeth Herrmann aus."

Man darf gespannt sein, wie sich die bedrückende Atmosphäre des Kinderkombinats, in dem die Rückblenden gedreht wurden, dieses Mal vermittelt. "Hier", sagt Anna Loos, "haben wir ja auch schon für 'Weissensee' gedreht." Damals hieß der Regisseur nicht Thomas Berger, sondern Friedemann Fromm.

Mit dem wird Anna Loos im Herbst übrigens "Nacht über Berlin" drehen, eine Geschichte aus den 30er-Jahren, bei der sie mal wieder mit ihrem Mann Jan Josef Liefers gemeinsam vor der Kamera stehen wird. "Das", sagt die Brandenburgerin, "ist immer besonders schön."

Jetzt zieht sie mit der Berger-Filmcrew aber erst einmal ins schwedische Malmö um, später werden noch Außenaufnahmen in Sassnitz gemacht. Insgesamt gibt es 22 Drehtage, neben Anna Loos stehen unter anderem Rainer Boock, Arved Birnbaum, Henny Reents und Hinnerk Schönemann auf der Besetzungsliste. Ausgestrahlt wird "Zeugin der Toten" im ersten Quartal 2013. Der genaue Sendetermin steht noch nicht fest.