Heute werden im Hamburger Rathaus die Gerd-Bucerius-Förderpreise Freie Presse verliehen, auch an Khadija Ismayilova aus Aserbaidschan.

Hamburg. Khadija Ismayilovas aktuellster Artikel ist ganz konkret mit dem Eurovision Song Contest verbunden. Die brandneue Crystal Hall, die in Baku eigens für die Show gebaut wurde, ist eines ihrer Themen. Sie berichtet über Korruption, Unterdrückung, Wirtschaftskriminalität, Verletzungen der Menschenrechte. Die aserbaidschanische Journalistin Khadija Ismayilova ist die derzeit wichtigste investigative Reporterin ihrer Heimat; für ihre regierungskritische Arbeit, die sie im Radio und zunehmend auch auf Facebook publiziert, wird sie bedroht, schikaniert und diffamiert.

Einschüchtern lässt sich die selbstbewusste junge Frau nicht. "Wenn man es nicht kontrollieren kann, ist es doch ohnehin sinnlos, sich Sorgen zu machen. Das bringt nichts." Heute erhält die 36-Jährige - so wie auch Olga Romanova, eine der profiliertesten investigativen Journalistinnen in Moskau, so wie das kaukasische unabhängige Magazin "DOSH", wie Waleri Karbalevich aus Minsk und das Wochenmagazin "Ukrainskiy Tyzhden" aus Kiew - den Gerd-Bucerius-Förderpreis Freie Presse Osteuropas im Hamburger Rathaus.

+++ Pressefreiheit ist nicht banal +++

Und Ismayilova meint es tatsächlich kein bisschen ironisch, wenn sie sagt: "Mein Beruf lässt mich immer ein Gewinner sein: Wenn ich einen guten Artikel schreibe, wenn ich etwas aufdecke - Journalistin zu sein ist für mich das größte Glück, und jetzt bekomme ich dafür auch noch einen Preis, diese Wertschätzung ist toll!"

"Die freie Meinungsäußerung ist in Russland, Belarus, Aserbaidschan und in der Ukraine keineswegs selbstverständlich", heißt es in der Begründung der Hamburger "Zeit"-Stiftung. "Umso wichtiger ist es, denjenigen den Rücken zu stärken, die für unabhängigen Journalismus in ihren Ländern eintreten." Frauke Hamann, Kommunikations- und Programmleiterin Journalismus der Stiftung, will auch nach der Preisverleihung mit Khadija Ismayilova und den anderen Preisträgern in Kontakt bleiben.

Die meisten von ihnen schweben permanent in Gefahr, verhaftet zu werden, "aber unsere Regierung findet noch viel kreativere Methoden", sagt Khadija Ismayilova. Ihre Wohnung wurde mit versteckten Kameras präpariert, das Badezimmer, das Schlafzimmer, sie wurde beim Sex mit ihrem Freund gefilmt, die Filme sind ebenso über das Internet verbreitet worden wie ihre gesamten Kontakte, persönliche Daten ihrer Freunde und ihrer Familie. Kollegen von ihr passierte Ähnliches, "solche Filme wurden sogar in den Hauptnachrichten um 19 Uhr gezeigt, versehen mit oppositionskritischen Texten. Der Direktor des Fernsehsenders ist der Cousin des Präsidenten."

+++ Die ersten zehn Finalisten für den ESC sind gewählt +++

Ermordete Kollegen, schwer verletzte Kollegen, das alles sind Gemeinsamkeiten der Preisträger, das Ziel ist überall das gleiche: die Selbstzensur der Presse. Warum begeben sich die heute Ausgezeichneten trotzdem in die Gefahr? Warum beleuchtet Olga Romanova mit ihrem Blog Dunkelzonen des russischen Justizvollzugs, obwohl ihr Mann bereits in Haft ist? Warum hat Khadija Ismayilova keine Angst? Warum zieht sie sich nicht zurück und "benimmt sich", wie man es von ihr in ebenso deutlichen wie beleidigenden Worten gefordert hat? "Weil all das keine legitimen Gründe sind, mit meiner Arbeit aufzuhören."

Stattdessen recherchierte Ismayilova ihren eigenen Fall, deckte auf, wer die Kameras installierte, zeigte Behörden an, erzwingt Urteile vor Gericht. Die gehen zwar nicht zu ihren Gunsten aus, geben ihr aber die Möglichkeit, vor ein Europäisches Gericht zu ziehen. Ihr offensiver Umgang mit den Demütigungen provoziert - aber nicht nur negative Reaktionen. "Die Gesellschaft nimmt nicht mehr alles hin. Ich habe viel Zuspruch bekommen, sehr viel: aus Aserbaidschan, aus dem Ausland, sogar von der islamistischen Opposition." Auch solche Ermutigungen schützen, "je mehr Menschen dich kennen, desto weniger eignest du dich als Erpressungsopfer", glaubt die Journalistin.

Den Eurovision Song Contest wird sie sich nicht anschauen. Dass er in Baku stattfindet, nützt dem Land trotzdem, glaubt sie. "Es ist gut, dass so viele internationale Medien vor Ort sind. Das Problem ist nur: Wenn die Show vorbei ist, hören die ausländischen Journalisten auf, über uns zu berichten. Die Unterdrückung durch die Regierung wird danach erst einmal schlimmer werden, weil wir ja ihre Party verdorben haben."

Einen aktuellen Artikel von Khadija Ismayilova kann man auf der Website www.reportingproject.net/occrp lesen, darin geht es um die Verstrickungen der Präsidentenfamilie in den Bau der neuen Konzerthalle Crystal Hall