Ein Kommentar von Maike Schiller

Es braucht die kleinen Widerhaken im eigenen Alltag, um zu ganz banalen Erkenntnissen zu gelangen. Wie gut es uns geht. Wie dankbar wir sein können. Wir, die wir jeden Morgen in die Redaktion kommen, unsere Arbeit machen, recherchieren, hingucken, nachfragen und dann einfach aufschreiben. Einfach so aufschreiben. Ohne dass wir anschließend um unser Leben fürchten müssen. Oder unser Schlafzimmer mit Kameras präpariert wird. Oder wir Angst haben müssen, dass unsere Kinder entführt werden. Khadija Ismayilova aus Baku hat keine Kinder. Bewusst nicht. Weil die investigative Journalistin glaubt, ihre Arbeit in Aserbaidschan sonst so nicht machen zu können.

Was für eine Lebensentscheidung.

Am Wochenende findet der Eurovision Song Contest in Baku statt. Das ist so ein Widerhaken. Die internationale Presse - also auch wir - berichtet über ein Land, das dieses Scheinwerferlicht so dringend braucht. Scheinheilig, sagen manche. Oder zynischer: Spaßverderber. Wenn da schon verschiedene Nationen friedlich zusammen singen, kann man dann nicht auch mal ein bisschen zufrieden sein?

Die Verleihung der Gerd-Bucerius-Förderpreise Freie Presse, die heute im Hamburger Rathaus verliehen werden, ist auch so ein Widerhaken.

Ab Montag macht die Preisträgerin Khadija Ismayilova wieder ihre Arbeit, die dazu führt, dass sie nicht mehr Herrin über ihr Privatleben ist. Die vielleicht aber auch dazu führt, dass die Verhältnisse sich ändern. Eines Tages. Langsam. Es ist an uns, den Kollegen, die unter so grundlegend anderen Umständen als wir selbst arbeiten müssen, den Rücken zu stärken. Ihnen Mut zu machen. Olga Romanova in Moskau, Waleri Karbalevich in Minsk, Khadija Ismayilova in Baku. Sie haben sich ihr Heldentum nicht ausgesucht, sie wurden durch die Umstände dazu gezwungen.

Für uns Berufszyniker mag es so banal sein: Die Welt ist schlecht. Für die, deren Alltag es bestimmt, hat es mit Banalität nichts zu tun.