So schön sind Städte und Landschaften aus der Höhe. Faszinierend anders. Die Doku “Deutschland von oben“ startet Donnerstag in den Kinos.

Auf einmal sind sie da, die ersten Schneeglöckchen. Endlich wieder Leben nach einem viel zu langen Winter. Nach so vielen Wochen Stillstand, Stille, in denen das Land im Dornröschenschlaf lag. Fragt man Deutsche, die im Ausland leben, was sie am meisten vermissen, kann man auf eine Antwort zuverlässig Wetten abschließen: der Wechsel der Jahreszeiten.

Warum das so ist, versteht man, wenn man den Film "Deutschland von oben" der Journalisten Freddie Röckenhaus und Petra Höfer sieht, der morgen im Kino startet. Er beginnt im Januar und endet zwölf Monate später, dazwischen liegt eine Reise über ein Land, das aus der Höhe betrachtet gleichzeitig vertraut und vollkommen fremd aussieht. Mit einer Cineflex-Helikopter-Kamera, gefilmt aus rund 150 Meter Höhe, blicken die Autoren aus der Vogelperspektive auf den Hamburger Hafen und die Frankfurter Skyline. Auf die Stahlwerke im Ruhrpott, auf Wattenmeer und Alpengipfel, Kölner Dom und Dresdner Frauenkirche.

Es sind keine eingefrorenen Bilder, kein auf Kinoformat aufgeblasenes Google Earth, sondern das tagtägliche Geschehen, das sich vor den Augen der Zuschauer wie eine lebendige Landkarte ausbreitet. Auf Helgoland, dem deutschen Lummerland, kugeln sich die Robben durchs flache Meer. Die vom Aussterben bedrohten Seeadler drehen hoch über der Elbe ihre majestätischen Runden, Ausschau haltend nach Aas. An den Landungsbrücken macht sich Aufbruchstimmung breit, wenn die "Queen Mary 2" mit Getöse ausläuft. "Es gibt Städte, die sehen von oben wahnsinnig gut aus", sagt Autor Freddie Röckenhaus, der viele Jahre in Hamburg für die "Zeit" gearbeitet hat. "Hamburg ist unser Favorit mit dem vielen Wasser und den herausragenden Kirchtürmen." Auch deshalb finden sich Hamburg-Bilder zuhauf in diesem Film, der Geschichts- und Heimatfernsehen modernster Art ist. Beim Blick auf Köhlbrandbrücke und Containerschiffe lässt er den Zuschauer spüren: Staunen ist ein mächtiges Gefühl.

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Wer auf Tour durch sein Heimatland geht, der reist immer auch Bildern nach, die er längst im Kopf hat. Und trifft auf Bilder von unbekannter, unerwarteter Schönheit, Wildheit. "Ich kann dort oben ja keine Stellprobe machen", sagt Röckenhaus. "Ich gehe dahin, wo es vielversprechend aussieht, oft zu verschiedenen Jahreszeiten. Manchmal erlebt man dann sein blaues Wunder." Eine Aufforderung, eine Einladung, sich zu wundern, auch das ist dieser Film. "Deutschland von oben" - inspiriert von der BBC-Serie "Britain from Above" und Fortsetzung der erfolgreichen "Terra X"-Fernsehreihe im ZDF - vermittelt eine Ahnung davon, wie vielfältig Deutschland ist.

Es reicht von den gigantischen Mondlandschaften des Braunkohletagebaus in der Lausitz bis zum Touristenstädtchen Regensburg, das mit seinen rot geziegelten Dächern aussieht wie eine Spielzeugstadt aus dem Mittelalter. Von der Sommerstadt München, die gerade in der warmen Jahreszeit so adrett ausschaut wie eine Austauschschülerin, bis zu den Halligen der Nordsee, die an Sommertagen von hoch oben betrachtet glauben lassen, sie lägen in der Südsee. Nur Dünen und Meer. Und Millionäre in ihren Strandkörben. Aus der Höhe ist es ein Bild des reinen Friedens. Aufnahmen von Sandbänken, hingepinselt wie Aquarelle, reihen sich an solche von Deutschlands größtem Laubwald in Thüringen, der sich im Oktober herbstlich gefärbt hat und ein flammend rotes Blätterkleid mit goldenem Saum trägt.

Ist das kitschig? Verniedlichend? Patriotisch? "Der Film appelliert an das Optimistische in uns. Wir wollen zeigen: Guckt mal, was für tolle Dinge wir in Deutschland haben. Das müssen wir um jeden Preis bewahren", sagt Röckenhaus, der bewusst eine andere Haltung für diesen Film gewählt hat, als die gewohnt kritisch-hinterfragende, die Dokumentationen über das Land für gewöhnlich auszeichnen.

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"Deutschland von oben" mag an manchen Stellen ein wenig pathetisch daherkommen - aber Tatsache (und Prinzip des Films) ist nun einmal: Viele Dinge sehen von oben schöner aus als sie sind. Verstärkt wird die Erhabenheit des Draufguckens von der begleitenden Musik. Leise Töne sind zu hören, wenn die Wildpferde scheu ihre Köpfe in die weiche Morgensonne vorstrecken und in den Galopp verfallen.

Maritime Töne, wenn die "Queen Mary 2" sich ins Bild drängt, bejubelt von Tausenden von Reiselustigen. Streicher erklingen, wenn sich die Flugkurve der Singschwäne und die der Kraniche kreuzen - ein Luftballett, zu dem die Natur die Choreografie geschrieben hat. Die Bilder von Luftfilmspezialist Peter Thompson, der auch bei "Herr der Ringe" hinter der Kamera stand, abzubremsen, erklärt Freddie Röckenhaus, funktioniere nicht - weshalb man sich den Klängen, die der Hamburger Boris Salchow komponiert und mit einem 70-köpfigen Sinfonieorchester produziert hat, einfach hingeben sollte, Pathos hin oder her. "Wenn man so will, hat Boris Salchow Deutschland vertont", sagt Röckenhaus.

Aus mehr als 300 Stunden Drehmaterial haben die Autoren einen knapp zweistündigen Film gefertigt. Emotional, schnell geschnitten und schön - und dabei dichte Informationen über deutsche Geschichte und Geografie transportiert. Dabei standen sie vor der Herausforderung: Wie wird man einem ganzen Land gerecht? "Wir wollten einen Film machen, keine Nummernrevue, in der eine Region nach der anderen abgebildet wird", sagt Röckenhaus. Mut zur Lücke erwies sich als unverzichtbar - Düsseldorf etwa fehlt gänzlich, die Hauptstadt Berlin wird zügig abgehandelt.

Es sind Entscheidungen, getroffen von der emotionalen Dichte der jeweiligen Bilder. Dicht befahrene Autobahnkreuze, die gezirkelten Bahnen der frisch gepflügten Äcker - was planvoll ist, sieht meist gut aus. Kontraste, wie sie schroffe Gegensätze und Wasserspiegelungen erzeugen, bringen Spannung in die Aufnahme. Auch Satellitenbild-Animationen finden Eingang in "Deutschland von oben", etwa jene der Helgoländer Robben auf ihren Fischzügen. Oder eine Animation aus Sicht der Bomberpiloten in den schrecklichen Bombennächten von Hamburg, in denen 1943 fast die ganze Stadt verbrannte. Ein Gefühl der Traurigkeit überlagert in dieser Szene die Stimmung, die größtenteils zwischen Reisefieber und unbestimmtem Heimweh balanciert. Wie würde das Land heute aussehen, fragt sich der Zuschauer, wenn es diesen Verlust nicht erlitten hätte?

Manchmal braucht es allerdings etwas Abstand, um zu erkennen, was aus nächster Nähe nicht zu sehen ist. Manchmal braucht es großformatige Kinobilder, um sich wieder ganz klein zu fühlen, kleinlaut zu werden angesichts der überwältigenden Fülle eines Landes. Manchmal braucht es einen Film, um wieder ins Bewusstsein zu bringen, wie gut es einem auf diesem Fleckchen Erde geht, wie schön man es hier hat.

Und dann ist wieder alles weiß. Der November hat den Schmutz von den Straßen gefegt und eine weiße Decke über das Land gelegt. Das Wild sucht Schutz unter den schneebedeckten Tannenwipfeln.

Das Jahr neigt sich dem Ende. Ein Jahr, das wie im Flug vergangen ist.

"Deutschland von oben" läuft ab 7. Juni in den Hamburger Kinos Abaton, Passage, UCI Mundsburg, UCI Othmarschen-Park, UCI Smart-City